“45 Sekunden lang”

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  1. Architekturjournalismus

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Lärnschutzwall in Utrecht

An der niederländischen Autobahn A2 bei Utrecht wurde ein gläserner Lärmschutzwall neu errichtet. Bei seinem Entwurf ging Architekt Kas Oosterhuis von der Geschwindigkeit der vorbeifahrenden Autos aus.

Von der Autobahn A2 aus wirkt der neue Lärmschutzwall wie eine riesige, durch die Landschaft mäandernde Schlange. Nach etwa 15 Sekunden Fahrt schwillt die rund 1,5 km lange Stahl-Glaskonstruktion deutlich an. Gerade so, „als hätte das Reptil soeben eine Antilope verschlungen“, so Architekt Kas Oosterhuis vom Rotterdamer Büro ONL. Mitten in dieser geschwulstartigen Verdickung integrierten die Planer das so genannte „Cockpit“ – ein futuristischer, bei Nacht eindrucksvoll beleuchteter Showroom für das Autohaus Hessing mit Luxuskarossen wie Rolls Royce, Lamborghini oder Maserati. Ist das zweigeschossige Cockpit vorbei gerauscht, dann schrumpft der Rumpf der Schlange langsam auf Normalmaß zurück, um nach insgesamt rund 45 Sekunden schließlich wieder aus dem Blickfeld zu verschwinden.

Bei Tempo 120

Bei dem Projekt in Utrecht – inzwischen als das „schnellste Gebäude der Niederlande“ bezeichnet – schwebte den Verantwortlichen von Anfang an ein Identität stiftendes Bauwerk mit hohem Imagewert vor. Denn direkt neben der Autobahn schließt das Quartier Leidsche Rijn an, das gegenwärtig größte Neubaugebiet der Niederlande, wo bis 2015 ein großes Gewerbegebiet sowie etwa 30 000 Wohnungen für rund 90 000 Menschen neu entstanden sein sollen.

Das auf einem breiten Erdwall errichtete Bauwerk zeichnet sich schon von weitem durch seine elegante stromlinienförmige Linienführung aus: „Um eine radikale Symbiose aus Architektur und Geschwindigkeit zu schaffen und eine auf Tempo 120 optimierte Form zu erzielen, haben wir eingehend die Form von Schnellboten, schnellen Autos und Flugzeugen untersucht“, berichtet Gijs Joosen vom Büro ONL im Gespräch. Aufbauend auf diesen Studien entstand schließlich auch die Lösung zur Integration des Showrooms, die deutlich durch die fließende Einbettung eines Cockpits in den Rumpf eines Düsenjägers inspiriert ist. Das Verhältnis zwischen Länge und Höhe des Autohauses beträgt dabei in Abstimmung auf die Geschwindigkeit ganz bewusst 10 : 1. Direkt unter dem zweigeschossigen Showroom schließen die ebenfalls von außen einsehbaren Bereiche Werkstatt und Ersatzteillager an.

Schuppen aus Glas

„Die Größe der einzelnen Glaselemente schwillt dabei in Richtung des Autohauses sukzessive an, um eine optimierte Durchsicht zu gewährleisten“, so Gijs Joosen. Je nach Lage sind die Platten hier rund 1,5 mal so groß wie an den Enden des Bauwerks. Im zentralen Bereich des Cockpits – wo aufgrund der stützenfreien Konstruktion bis zu 319 mm starke Stahlträger eingesetzt wurden – sind die einzelnen Elemente dann teilweise doppelt so groß. Um dabei einen möglichst eleganten und fließenden Übergang zwischen den verschiedenen Fassadenabschnitten zu erzielen, beträgt der Größenunterschied zweier angrenzender Glasplatten nie mehr als 2 mm.

Licht im Cockpit

Zwei weitere Unterschiede betreffen die Stärke sowie die Transparenz der Gläser: In den äußeren Bereichen des Lärmschutzwalls beträgt die Dicke der Platten 6 mm, im Bereich des Cockpits sind sie aufgrund der zusätzlich nötigen Wärmedämmung 4,2 cm stark. Im Hinblick auf die Sonneneinstrahlung von oben wurden hier außerdem vier unterschiedliche Beschichtungen verwendet: Im unteren Bereich des Showrooms findet sich normales Glas, darüber wurde Sonnenschutzverglasung in drei unterschiedlichen Stärken eingesetzt.

Noch nicht realisiert ist dagegen eine speziell für die Perspektive der Autofahrer vorgesehene dynamische LED-Lichtsteuerung für die Leuchten an den Enden des Bauwerks sowie an den Kreuzungspunkten des Fachwerks. Die Steuerung soll einen fließenden, über Sensoren gesteuerten Farbwechsel von gelb zu rot erzeugen, der beim Passieren des Bauwerks wie die Vorder- bzw. Rückleuchten vorbeiziehender Autos erfahren wird. Da heißt es dann nur noch: Konzentration bewahren!

© Text + Foto: Robert Uhde

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