„Afritecture – Bauen mit der Gemeinschaft“

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Weite Teile der afrikanischen Stadtbevölkerung leben in Slums oder in rasant wachsenden Trabantensiedlungen. Als Gegenmodell entstehen immer häufiger alternative Architekturprojekte, die auf alte Bautraditionen zurückgreifen und gleichzeitig auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigen. Einen umfassenden Überblick über diese Bewegung bot zuletzt die Ausstellung “Afritecture” im Architekturmuseum der TU München.

Kaum ein anderer Ort zeigt auf so drastische Weise die Folgen der rasant wachsenden afrikanischen Metropolen wie die überwiegend aus Pfahlbauten errichtete Lagunenstadt Makoko, die sich am äußersten Rand der rund 12 Millionen Einwohner zählenden nigerianischen Megacity Lagos ohne jegliche Regeln immer weiter ins Wasser frisst. Der Ort war im 18. Jahrhundert als Fischerdorf angelegt worden, später entwickelte er sich zudem zu einem Zentrum für die Verarbeitung von Baumstämmen, die bis heute in die Siedlung geflößt werden. Dieses organische Wachstum ist allerdings seit längerem Geschichte. Denn aufgrund der rasant steigenden Einwohnerzahlen von Lagos und der massiven Verdrängungsprozesse durch immer neue Trabantenstädte kamen in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr illegal errichtete Pfahlbauten hinzu, sodass inzwischen rund 100.000 Menschen in dem Slum leben. Hunderte der zunehmend behelfsmäßig errichteten Bauten treiben dabei jedes Jahr auf’s offene Meer hinaus, weil sie dem Klimawandel mit seinen immer stärker werdenden tropischen Regenfällen nicht länger standhalten können.

Slum aus Pfahlbauten

Als Gegenmaßnahme hatte die Regierung 2012 den Abriss der ungeliebten Siedlung und die anschließende Zuschüttung des Areals beschlossen. Nach massiven Protesten wurde das Projekt jedoch vorerst gestoppt. Die Probleme der Menschen sind damit aber natürlich nicht behoben. Aus der Not eine Tugend gemacht hat deshalb zuletzt der aus Nigeria stammende, nach seiner zehnjährigen Tätigkeit für Rem Koolhaas mit seinem Büro NLÉ in Amsterdam und Lagos ansässige Architekt Kunlé Adeyemi, der als prototypischen Lösungsansatz zur Verbesserung der Lebensqualität vor Ort eine schwimmfähige Grundschule realisiert hat.

Die mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen errichtete, dabei lediglich 5.000 Euro teure Zeltkonstruktion bietet auf drei Ebenen mit insgesamt 200 Quadratmeter Grundfläche ausreichend Raum zum Unterrichten von einhundert Kindern. Am Nachmittag kann der Bau dann anderweitig von den Bewohnern genutzt werden. Nach und nach soll nach diesem Prinzip eine „schwimmende Gemeinschaft“ mit mehreren miteinander verbundenen Gebäuden entstehen.

Das Projekt schafft aber nicht nur einen geschützten Raum zum Leben und Wohnen, sondern soll gleichzeitig auch als Vorbild zum nachhaltigen Bauen fungieren: „Beim Bau des Hauses haben wir deshalb ausschließlich Materialien und Ressourcen aus der Region verwendet“, erklärt der Architekt. „Zum großen Teil handelt es sich dabei um recyceltes Holz aus alter Bausubstanz.“ Das Dach setzt sich aus Solarpaneelen zusammen, darüber hinaus gibt es Komposttoiletten und verstellbare Lamellen zum Schutz gegen Wind und Wetter. Und um die Bauten schwimmfähig zu machen, wurden ausrangierte Kunststoff-Fässer verwendet, von denen einige gleichzeitig zur Regenwassernutzung genutzt werden. Unübersehbar ist dabei der Einfluss des vor allem in den Niederlanden so viel diskutierten Wohnens auf und mit dem Wasser. Die Zukunft von Makoko ist mit dem Projekt noch lange nicht geklärt, aber immerhin schlägt Kunlé Adeyemi mit seinen Bauten eine gangbare Möglichkeit vor, um den Bewohnern ein möglichst selbstbestimmtes Leben vor Ort zu ermöglichen.

Mit den Menschen vor Ort

Neben dem „Lagos water community Project“ sind in den vergangenen Jahren zahlreiche weitere hoffnungsvolle Beispiele für sozial engagiertes Bauen in Afrika entstanden. Sechsundzwanzig von ihnen wurden zuletzt in der Ausstellung „Afritecture“ dokumentiert, die im Architekturmuseum der Technischen Universität in der Münchner Pinakothek der Moderne bis Ende Januar zu sehen war. Gezeigt wurden Wohnbauten, Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, Kulturzentren oder Sportanlagen in Ländern wie Burkina Faso, Kenya, Mali, Rwanda oder Südafrika. Die meisten Projekte entstanden in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung vor Ort und können von den Menschen in Eigenregie unterhalten werden; vielfach waren die späteren Nutzer sogar unmittelbar am Entwurfs- und Bauprozess beteiligt. Die Verbindung von modernen Technologien mit lokalen Materialien und Bautraditionen lässt dabei eine unverwechselbare Gestaltung entstehen, die einen hoffnungsvollen Ansatz für eine eigenständige afrikanische Architektur bietet.

Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch der in Burkina Faso geborene, mit seinem Büro in Berlin ansässige Architekt Diébédo Francis Kéré, der sich hierzulande auch durch sein zusammen mit Christoph Schlingensief konzipiertes Operndorf in Afrika einen Namen gemacht hat. In seinem Heimatort Gando hat Kéré noch während seines Studiums gemeinsam mit den Bewohnern und mit Hilfe von Spenden den Bau einer Schule aus Lehm vorangetrieben. Inzwischen gehört die Einrichtung zu den besten des Landes, direkt angrenzend konnten deshalb bereits ein Erweiterungsbau, mehrere Lehrerhäuser, eine Bibliothek sowie ein Frauenzentrum fertiggestellt werden. „Im Rahmen des Projekts haben wir eine Menge Menschen in unterschiedlichsten Bautechniken geschult“, erklärt Francis Kéré. „Und diese Leute verdienen jetzt Geld damit, indem sie auf mehrere Baustellen in Burkina Faso und auch in den Nachbarländern arbeiten.“ Auch das ein Stück Nachhaltigkeit! Inzwischen erhielt der Architekt für das viel beachtete Leuchtturmprojekt deshalb auch bereits mehrere Auszeichnungen, darunter den begehrten Aga Khan Award, der für Architekturentwürfe mit besonderer Wirkung für das Gemeinwohl verliehen wird.

Zwei weitere Beispiele der Münchener Ausstellung waren die in Zusammenarbeit mit der TU München realisierte Handwerksschule in Malaa bei Nairobi oder das Frauenzentrum von Sharon Davis in der ruandischen Hauptstadt Kigali. Bei der Planung des Projektes, das mehrere organisch geformte Backsteinbauten zu einer offenen Siedlung für 300 Frauen zusammenfügt, arbeitete die New Yorker Architektin eng zusammen mit Studenten der erst 2009 gegründeten Architekturfakultät von Kigali. Ein gelungenes Architekturprojekt und ein sichtbares Zeichen der Hoffnung in dem von Völkermord und jahrelangem Bürgerkrieg geschundenen Land.

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