“Blick hinter die Oder”

Created for industrieBAU in 2007

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Investitionsstandort Polen

Durch sein investitionsfreundliches Klima und als größtes der neuen osteuropäischen EU-Mitglieder ist Polen inzwischen ein gefragter Standort für zahlreiche internationale Unternehmen. Allein 2006 wurden 11,1 Milliarden EUR an ausländischem Kapital in Polen investiert, der größte Teil davon in den Bereichen Elektronik, Automobilbau, Forschung und Entwicklung sowie Dienstleistungszentren. Trotz der insgesamt positiven Bilanz gibt es aber noch immer zahlreiche negative Standortfaktoren, die die Ansiedelungsbereitschaft vieler Unternehmen deutlich bremsen.

Wenn in Deutschland gegenwärtig von Polen die Rede ist, dann fallen in der Regel sofort die Namen der beiden Kaczynski-Zwillinge. Auch jetzt kurz nach der Wahl. Und mit ihnen kommt das Gespräch dann schnell auf die seit einigen Jahren recht mühseligen politischen Beziehungen zwischen beiden Ländern. Dabei wird diesseits der Oder schnell übersehen, was für tief greifende Veränderungen die Nachbarn seit 1989 bewältigt haben; und wie überaus positiv sich das Verhältnis beider Staaten und seiner Menschen untereinander seitdem entwickelt hat.

Polen war Ende der achtziger Jahre das erste Land des ehemaligen Ostblocks, das mit der wirtschaftlichen Umgestaltung von der Plan- zur Marktwirtschaft begonnen hatte. Mit zunächst gewaltigen Schwierigkeiten wie einer hohen Inflation und einem spürbaren Mangel an Konsumgütern. Nach dieser Phase der Entbehrung hat sich das Land inzwischen jedoch trotz einiger unübersehbarer Schwierigkeiten deutlich stabilisiert. Das belegen nicht zuletzt die hohen Wachstumsraten von zumeist deutlich über fünf Prozent, die Polen seit dem EU-Beitritt im Mai 2004 erzielt hat. Erfolgreichster Sektor ist dabei das Bauwesen, das 2006 nach Angaben der Bundesagentur für Außenwirtschaft bfai sogar um 14,6 Prozent zulegen konnte! Parallel dazu sank auch die Zahl der Arbeitslosen: Wurden 2004 landesweit noch rund 20 Prozent Arbeitlose registriert, ging die Quote zum Ende des ersten Quartals 2007 auf 13,7 Prozent zurück, was jedoch nicht zuletzt der gestiegenen Jobemigration – vor allem nach Großbritannien – geschuldet ist.

Begleitet wird der Aufschwung in Polen durch einen deutlich gestiegenen Außenhandel seit dem EU-Beitritt. Bei den Einfuhren wurden zuletzt Wachstumsraten von 19,1 (2005) und 22,6 Prozent (2006) erreicht, die Einfuhren stiegen sogar um 49,9 (2005) und 23,2 Prozent (2006). Fast ein Viertel (23,9 Prozent) der 2006 nach Polen importierten Waren kam dabei aus Deutschland, womit das Land gleichzeitig Rangplatz 10 beim deutschen Export einnimmt. Der Anteil der nach Deutschland ausgeführten Güter betrug sogar 27,2 Prozent, gefolgt in weitem Abstand von Italien mit lediglich 6,4 Prozent! Der intensive Warenaustausch belegt, dass sich die politischen Unstimmigkeiten zwischen Polen und Deutschland in den letzten Jahren bislang nicht oder zumindest nicht messbar auf die Handelsbeziehungen beider Länder ausgewirkt haben.

Gutes Investitionsklima

Mit einer Fläche von 312.683 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von 38,13 Mio. (Dezember 2006) ist Polen nicht nur das mit Abstand größte, sondern auch das bei weitem bevölkerungsreichste neue EU-Land. Schon von daher ist es seit Einführung der Marktwirtschaft als Standort für zahlreiche Firmen aus dem Ausland interessant. Die Polnische Nationalbank (NBP) schätzt, dass seit 1989 bis Ende 2006 insgesamt mehr als 86 Mrd. EUR an Auslandskapital vor Ort investiert worden sind. Rund 15 Prozent dieser Summe, also rund 13 Milliarden EUR, stammt von deutschen Unternehmen, wobei die Metro Group AG mit einem Volumen von rund 1,5 Milliarden EUR der bedeutendste Auslandsinvestor in Polen überhaupt ist. Als weitere wichtige deutsche Investoren zählt das Kooperationszentrum Hessen-Polen die Hypo-Vereinsbank, Volkswagen, die Commerzbank, RWE Plus und Siemens auf. Alles in allem sind inzwischen rund 7000 deutsche Unternehmen in Polen tätig – vom kleinen Vertriebsbüro bis zum hochmodernen Kfz-Werk. Für 62 Prozent der deutschen Unternehmer ist dabei nach einer Umfrage der Beratungsfirma Rödl & Partner die Skala des polnischen Marktes ausschlaggebend. Als weitere Faktoren werden billige Arbeitskräfte (26 Prozent) und die gute berufliche Qualifikation (14 Prozent) genannt.

Die zuletzt deutlich gestiegenen Direktinvestitionen aus dem Ausland basieren nicht nur auf der inzwischen deutlich stabilisierten wirtschaftlichen Gesamtsituation, sondern auch auf den in vielen Bereichen unternehmerfreundlichen Rahmenbedingungen des Landes. Ein häufig genanntes Argument gerade von deutschen Firmen sind dabei die nach wie vor geringen Personalkosten vor Ort. Der Durchschnittslohn beträgt derzeit etwa 600 EUR im Monat und liegt damit trotz leichter Steigungen rund 80 Prozent unter dem Niveau in Deutschland. Damit einher geht jedoch eine geringe Kaufkraft der Bürger, die nur knapp über 50 % des EU-Durchschnitts beträgt, womit Polen den drittletzten Platz in der EU belegt.

Aufgrund der positiven wirtschaftlichen Entwicklung sowie der relativ jungen Bevölkerung wird die Kaufkraft in den nächsten Jahren jedoch mit großer Wahrscheinlichkeit weiter ansteigen. Für den Bezirk Mazowsze um die Hauptstadt Warschau zum Beispiel, der schon jetzt rund 75 % der durchschnittlichen EU-Entwicklungsrate erreicht, erwartet das Centre for Economic and Business Research (CEBR) in zehn Jahren einen Wert von 100 Prozent. Für ganz Polen soll die Kaufkraft der Studie zufolge dann bei 90 Prozent des europäischen Durchschnitts liegen. Dementsprechend positiv steht Polen im europäischen Vergleich da: In einem Ranking des CEBR hinsichtlich der Wachstumsperspektiven belegt der Bezirk Mazowsze den 18. Platz von insgesamt 223 europäischen Regionen. Im Ländervergleich der Wachstumsperspektiven sieht die Studie Polen nach Litauen, der Slowakei, Lettland, Ungarn, Tschechien und Irland auf dem siebten Platz.

Gestützt werden diese Erwartungen nicht zuletzt durch das relativ gute Bildungsniveau in Polen. Nach Angaben des Statistischen Hauptamts GUS besitzen rund 13 Prozent der über 25-jährigen einen Hochschulabschluss. Bei steigender Tendenz. Die Rekrutierung von Fachkräften stellt also in den meisten Fällen kein Hindernis dar, so dass sich insgesamt ein positives Verhältnis von Lohnkosten, Produktivität, Leistungsbereitschaft und Qualifikation ergibt.

Ein weiterer Standortvorteil sind die guten Fördermöglichkeiten für ausländische Investoren, für die neben Mitteln aus Polen auch Mittel der Europäischen Union zur Verfügung stehen. Je nach geplanter Investition bestehen Möglichkeiten zur Regional-, Mittelstands-, Personen-, Sach- oder Projektförderung. Gefördert werden unter anderem Erstinvestitionen, die Schaffung neuer Arbeitsplätze, Investitionen in neue Technologien oder der Kauf von Grundstücken. Die Höhe der Regionalförderung liegt zum Beispiel je nach Region zwischen 30 und 50 Prozent der qualifizierten Kosten. Weitere Informationen dazu bietet unter anderem die Deutsch-Polnische Industrie- und Handelskammer in Warschau.

Investitionsrisiken

Den zahlreichen positiven Eckdaten stehen jedoch auch einige Risiken gegenüber. Neben dem zuletzt hohen Haushaltsdefizit von 3,9 Prozent und damit befürchteten Steueranhebungen werden von vielen Unternehmen immer wieder auch die mangelnde Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik, die von Jaroslaw Kaczynski und seiner Regierung so leidenschaftlich bekämpfte Korruption und vor allem die Bürokratie als Hemmnisse genannt. Ein Beispiel dafür sind die nach wie vor lang andauernden Prozesse bei Forderungen, die in Polen durchschnittlich drei Jahre dauern. Auf der Bonitätsrangliste zur Kreditwürdigkeit gemäß Institutional Investor belegt das Land jedoch immerhin den 40. Rang von 173 Nationen.

Ebenfalls nachteilig wirkt sich die nach wie vor schlechte Verkehrsinfrastruktur des Landes aus. Zwar profitiert Polen durch seine zentrale Lage im Zentrum des Kontinents und als Tor in Richtung Russland, doch existieren bislang nur wenige Autobahnen und auch der technische Standard des Eisenbahnsystems ist gering. Bis Ende 2013 soll jedoch ein Netzwerk von Autobahnen und Schnellstraßen gebaut werden, um den vermehrten Verkehr zu bewältigen und einen effizienten Transitverkehr zu ermöglichen. Ebenfalls verbessert werden soll die Qualität der verschiedenen Ostseehäfen sowie der neun internationalen Flughäfen.

Deutsche Unternehmen in Polen

Trotz dieser unübersehbaren Schwierigkeiten waren im Rahmen der Frühjahrs-Konjunkturumfrage 2007 der Deutsch-Polnischen Industrie- und Handelskammer 76 % der 128 befragten vor Ort aktiven Unternehmer tief davon überzeugt, dass ihre Investition in Polen die richtige Entscheidung war. Und auch für die Zukunft stehen die Chancen nicht schlecht. Besonders rosige Zeiten sagen Marktkenner nach Angaben des Bfai dabei dem Industriebau voraus. Große Chancen böten danach vor allem die hohe Nachfrage aus dem Energiesektor sowie der Petrochemie, wo in den nächsten Jahren zahlreiche Modernisierungsmaßnahmen anstünden.

Größter Auslandsinvestor im Jahr 2005 war MAN. Das Unternehmen mit Hauptsitz in München fertigt bereits seit einigen Jahren Lkw-Komponenten im polnischen Starachowice (ausgebautes Werk des ehemaligen polnischen Lkw-Herstellers Star) und Buskomponenten sowie Linienbusse in Poznan, wo auch VW Nutzfahrzeuge präsent ist. Aufgrund der positiven Erfahrungen wurde im Herbst 2005 mit dem Bau eines neuen Werks für MAN Nutzfahrzeuge in Niepolomice bei Krakau begonnen. In dem kurz vor der Fertigstellung stehenden Werk sollen in der Endausbaustufe rund 15.000 Lkw jährlich vom Band laufen und etwa 650 Menschen beschäftigt werden. Das Gesamtinvestitionsvolumen beläuft sich auf rund 100 Millionen EUR. Den Ausschlag für den Standort Polen begründet Anton Weinmann, Vorstandschef der MAN Nutzfahrzeuge, mit rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen sowie Infrastruktur und Entwicklungspotenzial. Die deutschen und österreichischen Standorte würden durch Komponentenzulieferungen ebenfalls von dem neuen Werk profitieren. Darüber hinaus decke Krakau das zusätzlich benötigte Volumen für die erwarteten überproportionalen Zuwächse in den Märkten außerhalb Westeuropas ab.

Wie MAN setzt auch Deutschlands größter Stahlhersteller auf die Fertigung in Polen. Die zur ThyssenKrupp Steel AG gehörende ThyssenKrupp Stahl Serwis Polska hat dazu vor wenigen Wochen ein neues Stahl-Service-Center in Dąbrowa Górnicza bei Kattowitz eröffnet. Die Investitionssumme für das innerhalb von nur acht Monaten fertiggestellte Werk, das Platz für weitere Ausbaustufen bietet, beträgt rund zwanzig Millionen Euro. Das Center soll als erste Produktionsstätte von ThyssenKrupp Steel in einem osteuropäischen Land jährlich 125.000 Tonnen angearbeitete Stahlprodukte für Kunden in Polen, Tschechien, der Slowakei, Ungarn, Weißrussland und in der Ukraine produzieren. Zu den Abnehmern gehören unter anderem Automobilproduzenten und -zulieferer, Press- und Stanzbetriebe sowie Hersteller und Zulieferer von Haushaltsgeräten. Der Grund für die Ansiedelung in Polen liegt auf der Hand: Allein in Polen und den südlich angrenzenden Ländern lag der Bedarf für angearbeitete Stahlprodukte nach Angaben des Unternehmens 2005 bei jährlich 2,2 Millionen Tonnen. 2010 würde der Bedarf bereits bei 3,7 Millionen Tonnen jährlich liegen. Das entspräche einer Wachstumsrate von jährlich mehr als elf Prozent!

© Text + Foto: Robert Uhde

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