“Düsseldorfs Tor zum Süden”

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  1. Architekturjournalismus

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Stadttor Düsseldorf von Overdieck, Petzinka & Partner

Wer schon Jahre nicht mehr in Düsseldorf gewesen ist, der wird sich wundern und die Stadt kaum wiedererkennen: Denn wo noch bis weit in die Neunziger ein Verkehrsstrom von täglich ca. 50.000 Fahrzeugen das Rheinufer Garnierte, ist mittlerweile eine etwa zwei Kilometer lange Promenade entstanden, die schon jetzt der altehrwürdigen Königsallee den Rang als edelste Flaniermeile der Region abzulaufen droht. Statt Rolex und Dior sollen hier jedoch freie Kunst und Medien die Besucher locken: Im alten Hafen wird eine einzigartige Kultur- und Medien-Meile errichtet. Das neue WDR-Gebäude, die Umwandlung alter Lagerhallen in Büros und Ateliers der Kunstakademie Düsseldorf, sowie die Bereitstellung von Flächen für Unternehmen aus den Bereichen Medien und Werbung sind bereits realisiert. Obendrein und gratis gibt es den ungestörten und lautlosen Blick auf Oberkassel – die Autos wühlen jetzt unter Tage.

Was inzwischen einen Hauch von rheinischer Côte d ´Azur versprüht, erforderte jedoch zunächst Schweiß, Geduld und Kreativität von Tunnelbauern, Tauchern, Verkehrsstrategen, Anwohnern und Pendlern gleichermaßen. Denn nachdem die Stadt Düsseldorf schon 1989 den 500 Millionen DM teuren Startschuß zur Tieferlegung der Rheinuferstraße abgegeben hatte, dauerten die Arbeiten an diesem Jahrhundertbauwerk dann immerhin von März 1990 bis Dezember 1993. Probleme bereitete dabei insbesondere der nur 13 Meter breite Engpaß am Theresienhospital. Er war letztlich maßgebend dafür, daß in Düsseldorf erstmals im innerstädtischen Straßen-Tunnelbau die beiden Richtungsröhren übereinander verlegt wurden. Ein enormer Aufwand, da die Arbeiten im unteren Abschnitt wie im Bergbau verrichtet werden mußten.

Die Mühen haben sich allemal gelohnt. Und selbst die im Zuge des Umbaus neuerrichteten Bauten fügen sich nahtlos in das vorhandene Bild ein. Was der Stadt bisher noch fehlte, war eigentlich nur die Krönung. Aber keine Angst, Düsseldorf wäre nicht Düsseldorf, stünde nicht auch die demnächst bevor: Gegen Ende des Jahres sollen die ersten Mieter das 75 Meter hohe, neugebaute Stadttor beziehen, das bereits jetzt voller Stolz über dem südlichen Eingangsschlund der Tunnelröhre thront und demnächst die Automassen in sich aufnehmen wird. Schon von weitem sichtbar, gilt das Düsseldorfer Stadttor inzwischen einhellig als neues Wahrzeichen der Stadt – vom alten Thyssen-Hochhaus ist jedenfalls längst nicht mehr die Rede. Warum auch? Der von den Architekten Overdieck, Petzinka & Partner entwickelte Glaspalast, der seinen Mietern demnächst etwa 30 000 m² an Bürofläche zur Verfügung stellen wird, ist schließlich sowohl ästhetisch, als auch ernergietechnisch vom Allerfeinsten. Neben der gläsernen “Zweite-Haut”-Fassade, die das gesamte Gebäude überzieht, ist es dabei vor allem der rhombenförmige Grundriß (Kantenlänge 66 x 50 m), der auch international für Aufsehen sorgt.

Den überirdischen Sockel des Gebäudes bilden drei jeweils 2 200 m² große Attikageschosse. Über ihnen steigen schließlich zwei parallele Bürotürme mit jeweils 16 Geschossen auf, die durch ein überaus gro&sz;zügig angelegtes Atrium miteinander verbunden werden. Auf einer Fläche von rund 1 000 m² ragt es glatte 56 Meter empor, ein beeindruckendes Raumerlebnis! Hoch oben, von wo aus sich ein fast erhabener, weil wandloser Ausblick auf die Umgebung bietet, braucht es da fast schon eine Portion Schwindelfreiheit. Die hier demnächst angestellten Bürokräfte werden sie dem gesteigerten Image-Wert ihres Unternehmens zuliebe wohl mitbringen müssen. Im Basement haben sich bis dahin Dienstleistung, kulturelle Ereignisse, Restaurants und Shoppingmöglichkeiten längst zu einer vielschichtigen Erlebniswelt verknüpft, während draußen dann eine begrünte Landschaftsbrücke das bunte Treiben im Stadttor mit einem davorliegenden Park, einem unterirdischen Parkhaus und der Stadt verbinden wird.

Hinter der äußeren “Zweite-Haut”-Fassade des Düsseldorfer Stadttores befinden sich begehbare Balkone mit einer Tiefe von1,40 Metern. Als Verbindungselement zwischen Arbeitsraum und Außenraum erzeugen sie einen Klimapuffer, vermeiden Lärm und Zugluft und schaffen durch eine optimale Lichtausbeute eine angenehme Arbeitsathmosphäre. Von außen sind diese Korridorzonen nur zu erahnen. Die innere Büro-Fassade besteht dagegen aus ästhetisch überaus ansprechenden Buchenholz-Fensterelementen mit einer Wärmeschutzverglasung, die von den Mitarbeitern bequem zu öffnen sind und den Zugang zu interessanten Pausengesprächen auf dem Balkon eröffnen.

Die doppelte Fassade des Düsseldorfer Stadttores ermöglicht eine neuartige und raffiniert ausgeklügelte Klima- und Belüftungstechnik, die auf die bisher notwendige Vollklimatisierung in Hochhäusern nahezu vollständig verzichten läßt. Hinter der Gebäudephysik verbirgt sich jedoch keineswegs mysteriöse Technik, denn das Team um Architekt Karl-Heinz Petzinka sowie der Stuttgarter Ingenieurgesellschaft JMP als Mitverantwortliche für die Haustechnik orientierte sich in der Planung lediglich an den natürlich vorhandenen Ressourcen. Weil nichts das Gebäude verdunkelt, die Sonne also über den gesamten Tagesgang genutzt werden kann, sorgt die Fassadenkonstruktion im Winter ähnlich einem Wintergarten für einen nur geringen Wärmeverlust. Im Sommer dagegen verschatten bei einer bestimmten Temperatur automatisch die Jalousien, die hier in Düsseldorf zudem derartig dicht an den Scheiben anliegen, daß die überproportionale Aufheizung zwischen Glas und Lamelle eine ausgeprägte Thermik entwickelt und die gesamte Warmluft aus dem Korridor ausschleust; ein überaus intelligenter Schachzug, der von den Ingenieuren zuvor mit einem Großrechner-Simulationsprogramm der Universität Stuttgart optimiert worden ist, denn selbst bei niedrigsten Luftgeschwindigkeiten sollten die gewünschten Temperaturprofile garantiert werden. Ein zusätzlicher Vorteil der innenliegenden Jalousien: Selbst bei hohen Windgeschwindigkeiten können sie ausfahren und abschirmen.

Ausgelegt ist diese Raumluft-Konditionierung für Außentemperaturen von etwa +5° C bis gut + 20° C. Über das Jahr gesehen nehmen sie den größten Teil ein. Außerhalb dieser Außentemperaturen hat das System jedoch seine Funktionsgrenzen. Deshalb integrierte die Ingenieursgemeinschaft Jaeger, Mornhinweg & Partner (JMP) noch eine mechanische Be- und Entlüftung. Sie ist geprägt durch eine Kombination von lufttrocknenden Sorptionsspeichern und adiabatischer Kühlung, die in Düsseldorf erstmals in einer einzigen Zuluftstrecke vereinigt worden sind. Das System gestattet selbst bei hohen Außentemperaturen über 30° C Zulufttemperaturen zwischen 16 und 18° C ohne den Einsatz einer Kältemaschine oder dergleichen. Das gesamte Gebäude heizt und kühlt also FCKW-frei! Und während im Sommer zudem noch natürliche Erdreichkälte und Kühldecken genutzt werden, greift das Stadttor im Winter lediglich auf das Fernwärmenetz der Stadt Düsseldorf zurück. Dabei kommt es bei 0° C Außentemperatur mit nur 28 Watt je Quadratmeter Wärmebedarf aus. Sämtliche Anforderungen der Wärmeschutzverordnung werden auf diese Weise souverän erfüllt. Und das, obwohl die Glasscheiben der Außenfassade für dich genommen nur einen k-Wert von4 oder 4,5 haben.

“Zweite-Haut”-Fassaden sind gerade in jüngster Zeit auch schon bei anderen Gebäuden realisiert worden. Das kürzlich in Essen eröffnete, ebenfalls durch Jürgen Overdieck mitentwickelte RWE-Gebäude gilt in diesem Zusammenhang als weltweit erster natürlich belüfteter Wolkenkratzer. Die jetzt in Düsseldorf angewandte, rigorose Kombination der verschiedenen Maßnahmen dürfte in dieser Form dennoch einmalig sein und so den Maßstab für künftige derartige Projekte bilden. Der Moment, in dem das zukunftsweisende Stadttor seine Pforten öffnet, wird so mit Spannung erwartet. Düsseldorf kann und wird sich freuen. Und während die vornehme “Stadt” drinnen und das Pendant draußen dann von der Aussicht auf die jeweils andere schwärmen und sich entzückt ihrer Exclusivität versichern, werden unterhalb des Flußpegels fast unbemerkt unzählige Liter Rheinwasser und Autoeinheiten weiter durch die Stadt mäandern. Fast so, als sei hier nichts geschehen.

© Text + Foto: Robert Uhde