“Eine gläserne Krone für die Demokratie”

Created in 1999

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  1. Architekturjournalismus

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Umbau des Berliner Reichstages durch Sir Norman Foster

Das Unternehmen “Aufbau einer neuen Hauptstadt” läuft auf Hochtouren. Pünktlich zum Jahr 2000 soll das rund 1.000 Meter lange “Band des Bundes” samt Kanzleramt die zwei ehemals getrennten Hälften Berlins verknüpfen. Daneben verwandeln sich gegenwärtig historische Verwaltungs- und Ministeriengebäude zu künftigen Quartieren für die Bundesminister, werden Vertretungen der Bundesländer eingerichtet und Botschaftsgebäude aufgebaut oder saniert. Neues Wahrzeichen Berlins aber ist schon jetzt die nachts hell erleuchtete Glaskuppel des für rund 300 Millionen Euro umgestalteten Reichstagsgebäudes.

Nachdem 1994 die Entscheidung gefallen war, das Reichstagsgebäude erstmals seit dem Ende der Weimarer Republik wieder zum Sitz des Parlaments umzubauen, waren längst nicht alle Abgeordneten begeistert. Einige sahen in dem zwischen 1884 und 1894 von Paul Wallot gebauten Haus den wilhelminisch-obrigkeitsstaatlichen Geist verkörpert und befürworteten daher einen Neubau. Auch wenn es gerade Kaiser Wilhelm II. war, der den Bau seinerzeit mit reichlich Spott bedachte – gern sprach er vom “Reichsaffenhaus” oder bezeichnete ihn als “Gipfel der Geschmacklosigkeit” – lautete die Frage von Anfang an: Wie dem dumpfen Geruch von nationalem Pathos begegnen, der den pompösen Bau fast erdrückte? Ein schwieriges Unterfangen. Die weltweit beachtete Verhüllung des Reichstages durch das Künstlerehepaar Christo und Jeanne-Claude im Sommer 1995 kam da gerade zur rechten Zeit. Für Wochen badete der Reichstag in einer nie gekannten Woge der Popularität, die sein Image als nutzloses und plumpes Bauwerk zwar nicht endgültig gewandelt, ihm aber doch Aktualität und physische Präsenz zurückgegeben hat. Kurz danach rückten die Bauarbeiter an.

Wettbewerb

Bis dahin war es jedoch ein weiter Weg. Um sämtliche Büroeinheiten im neuen Bundestag unterbringen zu können, forderte der 1992 ausgelobte Wettbewerb zur Umgestaltung des Reichstagsgebäudes zunächst die Verdopplung der ursprünglichen Hauptnutzfläche auf rund 34.000 m2. Von Anfang an zeigte sich dabei, dass die Jury sich scheute, einen deutschen Architekten mit der heiklen Bauaufgabe zu betreuen – auch das ein Stück Vergangenheitsbewältigung! Nachdem aus rund 800 Wettbewerbsteilnehmern schließlich 14 ausländische Büros eingeladen worden waren, gingen die drei ersten Preise letztlich an Santiago Calatrava aus Spanien, an den Niederländer Pi de Bruijn und an den britischen Architekten Sir Norman Foster, dessen Entwurf sich nach einer überarbeitungsphase schließlich durchsetzen konnte.

Neben einer weitgehenden Entkernung hatte Foster zunächst einen den Reichstag umgebenden Sockelbau und die überdachung des Reichstages durch einen großen, auf zwanzig Stützen ruhenden Baldachin vorgesehen. Erst als der Auslober 1993 entschied, die benötigten Büroräume außerhalb des Reichstages unterzubringen und daraufhin von den übermäßigen Flächenanforderungen absah, ließ Foster den Gedanken an Sockel und Baldachin wieder fallen. Der überarbeitete Entwurf sah danach eine weitgehende Erhaltung der historischen Raumstrukturen vor. Die Diskussionen waren damit jedoch keineswegs beendet. Debattiert wurde insbesondere noch über die Gestaltung der Kuppel, die den Bau bekrönen sollte. Schließlich tauchte im Bundestag sogar die Forderung nach einem Wiederaufbau der 1954 abgerissenen historischen Kuppel auf. Mit nur einer Stimme Mehrheit entschied sich der Bundestag im Juni 1994 gegen diesen Vorschlag. Im Mai 1995 konnte schließlich ein parlamentarischer Beschluss zugunsten einer begehbaren, runden Kuppel aus Glas gefasst werden.

Umbauten

Nach dem Brand von 1933 und dem Artilleriebeschuss gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war die Zukunft des schwer beschädigten Reichstagsgebäudes lange Zeit ungewiss. Erst zwischen 1961 und 1969 wurde er schließlich durch Paul Baumgarten zu einem “Plenarsaal ohne konkrete Bestimmung” ausgebaut. Trotz weitestgehenden Erhalts deräußeren Hülle waren die Umgestaltungen im Inneren erheblich. Lediglich die tragenden Wände des historischen Wallot-Baus waren stehen geblieben. Stattdessen waren fünf neue Zwischengeschosse eingezogen, Decken tiefer gehängt und Wände mit Gips begradigt worden.

Um zur Großzügigkeit der von Wallot gebauten Räume zurückzukehren, sah der Plan Fosters vor, die zusätzlich eingefügten Geschosse von Paul Baumgarten wieder zu entfernen und die gesamte ursprüngliche Gebäudestruktur freizulegen. Allerdings musste die Ost-West-Achse im Inneren des Gebäudes komplett abgerissen werden. Nur so konnten Eingangsräume geöffnet, die beiden historischen Innenhöfe wiederhergestellt und der Plenarsaal vergrößert werden. Alles in allem wurden dabei rund 45.000 Tonnen Bauschutt aus dem Reichstag entfernt.

Im Kern des Reichstagsgebäudes befindet sich nach wie vor der Plenarsaal. Er wurde von Foster nicht nur mit einer neuen Rundum-Verglasung versehen, sondern auch stark vergrößert: Um keinen der insgesamt 669 Abgeordneten vor die Tür setzen zu müssen, bietet er mit einer Fläche von rund 1.200 m2 jetzt fast doppelt so viel Platz wie das alte Plenum von 1894. Außerdem wurde die Sitzordnung im Parlament elliptisch angeordnet und um 90° Grad gedreht. Nach oben hin erstreckt sich der neue Plenarsaal über eine Höhe von drei Geschossen und öffnet sich schließlich zur gewaltigen gläsernen Kuppel, die sich über dem Raum wölbt. Im zweiten Erdgeschoss sind Räumlichkeiten für den Bundestagspräsidenten, denältestenrat sowie die Bundestagsverwaltung, im dritten die vier Fraktionssäle und eine Presselobby untergebracht. Besucher können das Gebäude über den repräsentativen Westeingang betreten und von hier aus die in einem Zwischengeschoss gelegenen Tribünen und Informationsräume und eine 24 Meter hoch gelegene Dachterrasse mit Restaurant erreichen.

Kuppelgestaltung

Spektakulärer Höhepunkt des Besuchs im neuen Bundestag ist natürlich der Aufstieg zur Aussichtsplattform in der neu errichteten Kuppel. Foster hat dazu zwei jeweils 230 Meter lange, spiralförmige Rampen an der Kuppelinnenseite eingerichtet, die durch ein Stahlskelett aus 24 vertikalen Hauptträgern und 17 außen auf den Hauptrippen aufliegenden Stahlhorizontalen getragen werden. Das eigentliche Gewicht der Kuppel – rund 800 Tonnen! – wird hingegen von 12 schmalen, rund um das Plenum stehenden Säulen getragen. Mit einem Durchmesser von 40 Metern und einer Gesamthöhe von 47 Metern (23,5 Meter ab Dachterrasse) fällt die neue Reichstagskrönung ihren Ausmassen nach dennoch deutlich bescheidener aus als ihre Vorgängerin: Die Wallot-Kuppel ragte mitsamt ihrem türmchenartigen Aufbau mehr als 74 Meter in die Höhe.

Der schuppenartige Aufbau der neuen Kuppel bedingt eine hohe Formvarianz der über 400 Einzelscheiben. Die größten Fenster in der untersten der 17 Reihen messen bei einem Gewicht von rund 520 kg etwa 1,72 x 5,01 Meter, am Gipfel verkleinern sich die Ausmaße dann auf 1,72 x 1,66 Meter. Bei der Ausführung der insgesamt 3.000 m2 großen äußeren Kuppelverkleidung wurde auf Verbundsicherheitsglas zurückgegriffen. Eine zwischenliegende Klebefolie verbindet die umliegenden Float-Gläser und sorgt dafür, dass die bei einem eventuellen Scheibenbruch entstehenden Glassplitter gebunden werden. Für den im Innenraum des Gebäudes befindlichen Teil der Kuppel galt es demgegenüber vor allem brandschutztechnische Auflagen zu berücksichtigen. Sie besteht hier ebenso wie die transparenten Wände des Plenarsaals aus Brandschutzglas.

In der Kuppelmitte führt ein hochkomplexes Licht-Umlenksystem diffuses Tageslicht in den zehn Meter tiefer gelegenen Plenarsaal. Die raffinierte Konstruktion besteht aus insgesamt 360 Spiegeln (Größe jeweils 420 x 60 cm), die in 30 Reihen auf einem Stahlkonus installiert sind. Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung wird dabei durch ein computergesteuertes, mitfahrendes Schattenelement aus Aluminiumlamellen geboten. Insgesamt 24 Messstellen überprüfen den jeweiligen Stand der Schutzelemente. Neben der Belichtung sorgt der raffinierte Zylinder zudem für die Belüftung des Plenarsaals: Die verbrauchte Luft wird über eine Abluftdüse nach oben geleitet und entweicht dort unter Ausnutzung des thermischen Auftriebs über eine zentrale Öffnung der Kuppel.

Fassadensanierung

Neben der spektakulären Kuppelkonstruktion warf vor allem die Sanierung der insgesamt 25.000 m2 großen Außenfassaden und Innenhöfe des Reichstages Probleme auf. Durch Fliegerbomben und Artilleriegranaten war das Mauerwerk stark zerfurcht und später von Luftemissionen und Ausbesserungsflicken weiter in Mitleidenschaft gezogen worden. Im Zuge der Sanierung wurden die Fassaden gründlich gereinigt, neu verfugt und, wo nötig, mit neuen Steinmaterialien ergänzt. Und damit auch der Putz sich in seiner optischen Wirkung dem an zahlreichen Stellen vorhandenen Naturstein anpasst, wurde ein spezieller Sanierputz verwendet, der eine einheitliche Oberfläche des Reichstages schafft. Die Maßnahmen haben sich gelohnt, sämtliche Wände und Fassaden des Reichstages erstrahlen nach dem Umbau in neuem Glanz.

Ein Kapitel für sich sind die zum Teil sensationellen Funde, auf die man während der Umbauarbeiten des Reichstages stieß: Raumfluchten und großzügig angelegte Treppenaufgänge wurden dabei ebenso integriert wie versteckte Säulen, Figuren und Wandschmuck aus dem letzten Jahrhundert. Unter den in den 1960er-Jahren mit Rabitzverkleidungen begradigten Wänden stieß man außerdem auf historische Sandsteinverkleidungen mit Rosetten, auf symbolische Darstellungen und auf (zum Teil recht obszöne) kyrillische Inschriften sowjetischer Frontsoldaten aus den Maitagen 1945. Einige von ihnen wurden wie ein Palimpsest sichtbar gemacht und blieben damit ebenso erhalten wie Schürfungen und Einschusslöcher in der Außenfassade. Die Spuren aus den letzten Kriegstagen sollen Besucher und Parlamentarier nach dem Willen des Architekten vor nationalem Größenwahn mahnen.

Ökologische Haustechnik

Der Entwurf von Norman Foster setzt weitestgehend auf natürliche Belichtung und Belüftung. Nicht nur der Plenarsaal, sondern auch die vier Fraktionssäle werden durch Tageslicht versorgt. Durch ein in die Isolierglasscheiben der Glasdächer integriertes Micro-Sonnenschutzraster gelangt intensives Zenitlicht und diffuses Tageslicht in die Sitzungsräume. Direkte Sonneneinstrahlung wird hingegen reflektiert. Auf diese Weise werden helle Innenräume gewährleistet, ohne dass es bei Sonnenschein zu überhitzung oder zu extremen Hellzonen in den Sitzungssälen kommen kann.

Zur Kühlung der Innenräume machte Foster die historischen Springbrunnen-Anlagen vor dem Reichstag wieder nutzbar und ergänzte sie zusätzlich durch ein raffiniertes System von Quellüftungen. In einigen Räumen, etwa im Plenarsaal, war deshalb eine Bodenkonstruktion aus Lattenrosten und Lochblechplatten nötig, die einen hohen Luftdurchsatz der Bodenbeläge erforderte. Die Teppichböden, die mit einem speziell für den Reichstag angefertigten Kleber auf den Metallböden verklebt wurden, bestehen deshalb aus einem besonders lüftungsfähiges Garn.

Aber auch sonst scheint an alles gedacht: Direkt neben den Dächern der Fraktionssäle erzeugen 100 Photovoltaik-Module eine Leistung von bis zu 40 kW. Für warme Innenräume sorgen zwei mit Rapsöl betriebene Heizkraftwerke, außerdem werden Abgase und die Abwärme des Kühlwassers genutzt. Fällt überschüssige Wärme an, wird sie in 300 Meter Tiefe im Erdreich gespeichert und kann von dort zur Warmwasserbereitung oder zur Kühlung des Hauses im Sommer genutzt werden. Insgesamt erwartet Norman Foster, dass sich der jährliche Kohlendioxidausstoß des Gebäudes durch die durchgeführten Maßnahmen auf nunmehr 440 Tonnen reduzieren wird. Gegenüber dem Umbau in den 60er-Jahren, als noch 7.000 Tonnen CO2 in die Luft geblasen wurden, bedeutet das eine Reduzierung um 94 %.

Fazit

Die atemberaubenden Gerüstkonstruktionen sind inzwischen entfernt worden, die Umbauarbeiten auch im Inneren abgeschlossen. Dabei zeigt sich, dass sich der Reichstag binnen vier Jahren zu einem hoffnungsvollen Symbol des parlamentarischer Neuanfangs verwandelt hat. Die Umgestaltung von Norman Foster beweist einen sensiblen Umgang mit der Geschichte, die ganz bewusst auf eine bloße architektonisch Rekonstruktion verzichtet und sich darüberhinaus auch in der technischen und ökologischen Konzeption als überaus modern erweist.

Am 23. Mai, genau 50 Jahre nach Verkündung des Grundgesetzes, wird im neuen Bundestag die Bundesversammlung zur Wahl des neuen Bundespräsidenten zusammen treten. Nach der Sommerpause wollen die Abgeordneten dann endgültig ihre Zelte in Bonn abbrechen. Größere Probleme sind dabei eigentlich nicht mehr zu erwarten: Nachdem sich der Bundestag eindeutig gegen eine von Foster entworfene neue Bestuhlung mit einem eleganten, italienischen Design ausgesprochen hatte, stehen den Parlamentariern auch in Berlin wieder die altbekannten blauvioletten Stühle aus dem Bonner Bundestag zur Verfügung. Das beruhigt und wird vor Heimweh in der fremden Stadt schützen.

© Text und Foto: Robert Uhde

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