“Form follows disposal”

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  1. Architekturjournalismus

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Müll-Verladestation von Ben van Berkel in Delft

Wer an Delft denkt, dem kommen zunächst die historische Innenstadt, das weltberühmte Delfter Porzellan oder die renommierte Technische Universität in den Sinn. Ganz anders das Ambiente im Delfter Süden: Direkt am Fluss Schie, am Übergang zwischen einem nur wenig attraktiven Industriegebiet und dem Landschaftsschutzgebiet Abtswoude, wurde nach Entwürfen des Amsterdamer UN Studios um Ben van Berkel und Caroline Bos vor wenigen Monaten eine neue Müll-Verladestation fertig gestellt. Die sensibel in den schwierigen städtebaulichen Kontext eingefügte Anlage nimmt den Hausmüll der Stadt Delft und den umliegenden Gemeinden auf und transportiert ihn von hier aus auf dem Wasserweg in die Müllverbrennungsanlage nach Rijnmond. Neben der dazu nötigen Verladehalle verfügt die Anlage über eine zusätzliche „Wertstoffinsel“ – eine Plattform, von der aus Besucher Holz, Glas und andere Wertstoffe in eigens dafür vorgesehene Container abladen können. Dabei zeigt sich, wie sehr sich inzwischen die Haltung gegenüber dem stetig anwachsenden Müll verändert hat: Aus dreckigem Abfall, der möglichst unauffällig vernichtet werden muss, ist zunehmend ein wertvoller Grundstoff für eine neue Produktgeneration geworden.

Bis vor wenigen Monaten mussten die stetig wachsenden Abfallberge der Stadt Delft noch per Bahn in die Müll-Verbrennungsanlage nach Rijnmond transportiert werden. Weil die alte, direkt am Bahnhof gelegene Verladestation jedoch längst zu klein war und zudem für sehr viel Lärm, Gestank und Verkehr im Innenstadtbereich sorgte, wurde auf Seiten der Stadt Delft bereits seit 1993 über einen neuen Standort nachgedacht. Nach jahrelangen Planungen wurde schließlich entschieden, den Müll auf dem Wasserweg nach Rijnmond zu transportieren. Als geeigneter Standort wurde der direkt am Fluss Schie gelegene Voltaweg ausgewählt. Die dort vor wenigen Monaten fertig gestellte neue Müll-Verladestation folgt dem zentralen Planungsgedanken, die logistischen Abläufe so weit wie möglich zu automatisieren und dabei den zur Verfügung stehenden Raum optimal zu nutzen. Auf engstem Raum können hier täglich rund 500.000 Kilo Müll aufgenommen und weiter transportiert werden.

„Wir haben uns dem Thema der Müllbeseitigung aus der Sicht des gesammelten Rohmaterials angenähert und dabei den erzieherischen Aspekt des Sortierens von Hausmüll unterstrichen“, beschreibt Ben van Berkel einen zentralen Entwurfsgedanken. Schon am Eingangsgebäude – einem kompakten zweigeschossigen Gebäude mit Kantine und Aussichtsraum, das sich nach außen hin mit perforierten Stahlgittern und schwarzen Betonziegeln präsentiert – trennt sich die Spreu vom Weizen: Linkerhand geht es geradewegs zur „Wertstoff-Insel“, auf der kleinere Firmen und Privatleute ihre Wertstoffe abliefern können. Der Weg nach rechts führt demgegenüber zur zentralen Verladehalle und ist den mit Restmüll bzw. Grünabfällen beladenen Müllwagen vorbehalten. Oben angelangt, wird die Ladung direkt auf ein Laufband gestürzt, das durch seine fortwährende Bewegung für einen konstanten Weitertransport des Mülls sorgt. Vom Laufband aus wird der Abfall anschließend durch zwei automatische Pressen in bereit stehende Container gefüllt. Ist ein Container komplett gefüllt, so wird er durch eine auf Schienen geführte Krananlage aufgegriffen und gegen einen leeren Behälter ausgetauscht. Die vollen Container gelangen schließlich in ein kleines Zwischenlager, von wo aus sie durch die bis über den Fluss Schie auskragende Krananlage einmal täglich auf ein dort bereit stehendes Binnenschiff geladen werden.

Die soeben eingeweihte Verladestation ist das jüngste Projekt des 1988 gegründeten Amsterdamer Architektenduos Ben van Berkel und Caroline Bos, das 1998 durch ein „Netz“ von Spezialisten der Bereiche Architektur, Stadt- und Verkehrsplanung zum UN Studio (United Network) erweitert wurde. Während architektonische oder städtebauliche Entwürfe sonst meist eher linearen ablaufen, gleichen die Entwurfsmethoden des UN Studios eher einem langsamen Vorwärtstasten. Das Büro bedient sich dabei Methoden aus Bereichen wie der Systemtheorie, den kognitiven Wissenschaften oder der Diskurs-Analyse. Durch exakte Untersuchungen der verschiedenen Verkehrswege, ihrer Richtungen, ihrer Dauer und ihrer Vernetzung untereinander entstehen oftmals räumliche Arrangements, die „abtauchenden, niederstürzenden, aufschließenden, zerschneidenden oder faltenden Bewegungen“ folgen: Die Aushebelung der Orthogonalität zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Arbeiten des Büros. Weniger, um vordergründige dekonstruktivistische Effekte zu erzielen, sondern um „allumfassende Strukturen zu schaffen, die Konstruktion, Funktion und Benutzerströme zu einem Ganzen zusammenführen“, wie Ben van Berkel berichtet.

Auch der Entwurf der Verladestation folgt in erster Linie der zuvor aufwendig am Computer simulierten Logistik – hier dem Abladen und Transportieren des angelieferten Mülls. In der architektonischen Umsetzung wurde aus den dabei gewonnenen Daten schließlich eine Art Landschaft entwickelt, welche die gesamte Verladestation zu einer kompakten Einheit zusammenfügt. Die subtilen Höhenunterschiede dieser „Landschaft“ werden vor allem durch die jeweils unterschiedlichen Funktionen der Station bestimmt: Die Höhe der „Wertstoffinsel“ folgt der Höhe der hier bereit stehenden Container. In Richtung Verladehalle steigt das Terrain noch weiter hinauf – die Höhe der Absturzrampe wurde exakt so gewählt, dass der Austausch der Container direkt auf Erdgeschoss-Niveau durchgeführt werden kann.

Auf ähnliche Weise haben die Architekten auch die Form der Verladehalle entwickelt: Auf den ersten Blick bietet das klar und selbstbewusst formulierte, mit einem wellenartig anschwellenden Dach aus blau lackierten Stahlprofilen eingedeckte Gebäude fast die Anmutung eines frei gestalteten technischen Show-Rooms. Näher betrachtet zeigt sich jedoch, dass die eigenwillige Form stilisiert die im Inneren stattfindenden Bewegungen des Mülls verfolgt: Der Aufbau besteht aus einer langen aufsteigenden Linie, die den Weg des Abfalls zur Rampe beschreiben, und einer kurzen abfallenden Linie, die den Prozess des Stürzens nachzeichnet.

Der halbtransparente Zaun aus Metallgitter, der das gesamte Terrain begrenzt, führt das Thema Transparenz auch auf anderer Ebene weiter und lässt schon von weitem die Funktion der Anlage erkennen. Ähnlich transparent präsentiert sich auch die zum Fluss Schie hin gelegene Ostfassade der Verladehalle, die aus vertikal angeordneten, U-förmigen Glasstreifen gebildet wird, die durch ihre wellblechartige Oberfläche den industriellen Charakter des Gebäudes unterstützen und dabei je nach Tageszeit ein lichtbewegtes Spiel zwischen Innen und Außen erzeugen. Nach Norden hin, an der Stelle also, an der die Müllwagen ihre Fracht abwerfen, geht die Glasfront fast unmerklich in eine langgestreckte Wand aus Beton über. Dem Lärmschutz zuliebe – denn schließlich sind an und auf dem Fluss Schie ständig unzählige Spaziergänger, Radfahrer und Ruderer unterwegs.

© Text: Robert Uhde

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