Kundenmagazin “Farbwelt” von Caparol

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Signal zum Aufbruch – Die Farbe Rot in der Gegenwartsarchitektur

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Bauherren und Architekten beweisen mehr Mut zur Farbe. Denn statt in Grau und Weiß präsentieren sich sowohl Neubau- als auch Altbaufassaden seit einigen Jahren immer häufiger auch in bunten Tönen. Sehr beliebt ist dabei Rot, das in den unterschiedlichsten Ausprägungen – von getönten Putzfassaden oder Backstein bis hin zu rostigem Corten-Stahl oder rotem Sandstein –, zum Einsatz kommt und das je nach Intention des Planers als „mediterran“, „avantgardistisch“ oder „archaisch“ erscheint.

Wohl kaum ein anderer Farbton ist mit so vielen unterschiedlichen Assoziationen belegt wie das Rot. Je nach Blickwinkel erscheint es wechselweise als Ausdruck der Liebe, des Glücks, des Feuers oder der Erotik, oder als Zeichen für Macht, Wut oder Gefahr. Wesentlich weniger ambivalent präsentiert und präsentierte sich das Rot in der Architektur, wo es im Verlauf der letzten Jahrhunderte zumeist weniger als Aufmerksamkeit erregendes Ereignis, sondern vor allem als harmonisch in den jeweiligen städtebaulichen Kontext eingefügte Materialeigenfarbe von Klinker oder rotem Sandstein in Erscheinung getreten ist – etwa bei den Bauten der norddeutschen Backsteingotik, den Fassaden des Basler Münsters oder bei den Gemäuern des Heidelberger Schlosses.

Auf der anderen Seite kann sich das Rote aber auch in der Architektur jederzeit aus der Masse hervor heben, um statt als unauffälliges „Klinkerrot“ als „Signalrot“ oder „Feuerrot“ daher zu kommen – eine Qualität, die durch seine Eigenschaft als Komplementärfarbe zu dem in der Natur vorhandenen Grün sowie im Kontrast zum Blau des Himmels zusätzliche Kraft erhält und die Rot zu einer faszinierenden Farbe für Bauherren und Architekten gleichermaßen macht.

Naturstein und Klinker

Sehr vertraut ist uns das Rot als Materialeigenfarbe von Klinker oder Naturstein. Anders als roter Klinker – der nach einer Blütezeit gegen Anfang des 20. Jahrhunderts in der expressiv geprägten Backsteinarchitektur von Fritz Höger oder Fritz Schumacher auch heute noch der meist verwendete Baustoff ist –, wird roter Naturstein jedoch nur noch relativ selten eingesetzt. Eines der interessantesten Beispiele zeigt dabei das 1997 eröffnete Museum Beyeler in Riehen bei Basel, bei dessen Gestaltung der Genueser Architekt Renzo Piano ganz gezielt auf einen Kontrast zwischen roten Natursteinfassaden und einem luftigen Glasdach gesetzt hat. Um das Museum in der Region zu verwurzeln, war dabei ursprünglich vorgesehen, auf den seinerzeit beim Bau des Basler Münsters verwendeten roten Sandstein zurückzugreifen. Da es diesen Stein allerdings nicht mehr in ausreichender Menge gibt, wurden die langen Außenwände schließlich mit einem roten Porphyr-Stein aus dem nahe gelegenen Elsaß errichtet, der zwar etwas heller ist, ansonsten aber das leuchtende Farbspiel und die elegante Ausstrahlung des „Originals“ besitzt.

Roter Klinker kommt wie gesagt wesentlich häufiger zum Einsatz, wobei die Bandbreite vom Wohnungsbau bis hin zum Büro- oder Industriebau reicht. Darüber hinaus tritt gebrannter Ton als Material von Tondachziegeln und Pflasterklinkern in Erscheinung. Dass sich mit diesem Jahrhunderte alten Baustoff aber nicht nur traditionelle, sondern auch völlig avantgardistische Architektur realisieren lässt, zeigt zum Beispiel der 1999 nach Plänen von Frank O. Gehry fertiggestellte „Neue Zollhof“ in Düsseldorf, bei dessen Gestaltung neben der Funktion als Bürogebäude vor allem die Bedeutung als werbewirksames Zeichen des sich weiter südlich anschließenden neuen Medienhafens im Zentrum stand. Ausgehend von dieser Vorgabe entwickelte der amerikanische Architekt drei kleinere Bauten, die sämtlich durch ihre „tanzenden“ und „springenden“ Formen – die Neigung beträgt bis zu 28° – sowie durch die kastenförmig aus der Fassade springenden Fenster als durchgehende Stilelemente miteinander verbunden werden. Völlig unterschiedlich präsentieren sich die drei Türme jedoch in puncto Material- und Farbwahl, wobei die roten Keramik-Klinker des südlichen Gebäudes einen ungewöhnlichen Kontrast zum futuristisch funkelnden Edelstahl des mittleren Baus und dem mit hellem Putz gestalteten nördlichen Volumen schaffen.

Rostrot – Bauen mit Corten-Stahl

Einen eher archaischen Eindruck bietet Rot als Materialeigenfarbe von oxidiertem Stahl, sogenanntem „Corten-Stahl“. Eines der interessantesten Beispiele für diese Verwendungsmöglichkeit zeigt das Museum Kalkriese bei Bramsche im Osnabrücker Land. 1987 wurde hier der Schauplatz der legendären Varusschlacht gefunden, in deren Verlauf im Jahre 9 n. Chr. drei römische Legionen vernichtend durch die Germanen geschlagen worden waren. Inzwischen wurden auf dem Areal ein Museum sowie ein großflächiger Landschaftspark errichtet. Markanter Blickpunkt ist dabei der mit rostroten Corten-Stahlplatten verkleidete Museumsbau der Zürcher Architekten Anette Gigon und Mike Guyer, dessen rund 26 Meter hoher Aussichtsturm einen faszinierenden Überblick über den rund zwanzig Hektar großen Park bietet.

Dass sich rostiger Stahl nicht nur für Solitäre, sondern auch als Material im Einfamilienhausbau einsetzen lässt, zeigt ein Projekt der beiden Kölner Architektinnen Marion Goerdt & Irene Schwarz, deren als containerartige Box gestaltete Erweiterung eines mit Schiefer verkleideten Bergischen Fachwerkhauses in Leverkusen ebenfalls mit rostrotem Corten-Stahl errichtet wurde. Die Formate der 3 mm starken Corten-Stahlplatten wurden dabei so gewählt, dass sie sich trotz ihres hohen Gewichtes noch handhaben ließen. Außerdem sollte die Rasterung der Fassade mit dem Raster des Fachwerks nebenan korrespondieren. Für ausreichend Distanz zwischen beiden Baukörpern sorgt eine 70 cm breite Fuge aus Isolierglas. Bei der Suche nach einem geeigneten Material schwebte den Architektinnen von Anfang an ein möglichst großer Kontrast zum Haupthaus sowie zu den Nachbarhäusern vor. Auf einer weiteren Ebene berücksichtigt das Material Corten-Stahl außerdem den lokalen Kontext, denn es reflektiert den tief verwurzelten regionalen und historischen Zusammenhang zwischen Eisen und Fachwerk in den Stahl produzierenden Fachwerk-Wassermühlen sowie den Stahl- und Klingenschmieden des Bergischen Landes.

Rot getönte Altbaufassaden

Neben ihrer Erscheinung als Eigenfarbe eines bestimmten Materials tritt uns Farbigkeit in der Architektur als deckende oder lasierende Materialbeschichtung von Putz, Holz, Beton oder anderen Werkstoffen entgegen. Neben den nach wie vor bestimmenden „Bauhaus-erprobten“ Gestaltungsvarianten „Grau“ und „Weiß“ finden sich dabei seit einigen Jahren immer häufiger auch farbig getönte Fassaden – zum Teil aufgrund veränderter ästhetischer und modischer Vorlieben, zum Teil aber auch durch verbesserte Planungsmöglichkeiten durch CAD-Programme, die schon im Vorfeld einen guten Eindruck vom späteren Zustand geben und damit auch die Risikobereitschaft von Bauherren und Planern in puncto Farbigkeit erhöht haben.

Ein weiterer Grund für die häufigere Gestaltung farbiger Fassaden ist das gestiegene Bedürfnis zur originalgetreuen Rekonstruktion historischer – und damit häufig bunter – Fassadenbilder. Eine der größten Herausforderungen ist dabei, dass heute in der Regel industriell hergestellte und somit DIN-gerechte Farben und Putze mit künstlichen Eisenoxidrot-Pigmenten verwendet werden. In früheren Epochen kamen dagegen ausschließlich Farben und Putze aus natürlichen Ressourcen wie farbigen, mit Roteisenerz angereicherten Erden zum Einsatz; Farben also, mit denen sich quasi per se homogene städtebauliche Zusammenhängen schaffen ließen – zu sehen etwa beim differenzierten erdfarbenen Farbenspiel von rotem Ocker oder Terra di Siena in Dörfern und Städten im Mittelmeerraum.

Ein schönes Beispiel für eine gelungene Renovierung, die die Anmutung historischer Farbbeschichtungen aufgreift, zeigt der durch das Büro Walter Böhm aus Markt Einersheim geplante Sanierungsumbau eines 1694 errichteten und 1724 im Stil des Barock umgebauten Bürgerhauses im fränkischen Iphofen. Nach seiner Erweiterung durch einen gläsernen Anbau beherbergt der denkmalgeschützte Komplex inzwischen eine Vinothek. Eine besondere Herausforderung bei der Sanierung war die Wahl eines geeigneten Farbtons für die Fassade. Nach über 20 Ortsterminen wurde schließlich ein Terracotta-Ton gewählt, wobei der Auftrag in historischer Lasur-Wischtechnik einen wesentlich lebendigeren und authentischeren Eindruck schafft, als wenn die Fassade gleichmäßig deckend behandelt worden wäre. Zudem harmoniert der kräftige und warme Terracotta-Ton nicht nur wunderbar mit den hellen Fenster- und Türrahmen, sondern schafft auch einen schönen Kontrast zu den teilweise erhalten gebliebenen alten Natursteinmauern.

Einen ähnlich gelungenen Einsatz der Farbe Rot im Altbaubereich zeigt das zum Hessentag 2004 sanierte Rathaus in Heppenheim an der Bergstraße. Mit der Renovierung des wohl schönsten Fachwerkhauses in Südhessen, das zentraler Blickpunkt eines historischen Marktplatzes ist, wurde der ortsansässige Malerbetrieb Gugenberger beauftragt, dessen Geschäftsführer Steffen Gugenberger zusätzlich auch Restaurator im Malerhandwerk ist. Schon im Vorfeld der Sanierung hatte sich herausgestellt, dass die Fachwerkbalken des Bauwerks zum Teil überputzt waren, was zum Faulen des Holzes geführt hatte. Eine der wichtigsten Erhaltungsmaßnahmen betraf daher den Ersatz einiger Balken. Zuvor wurden die Holzflächen durch Abstrahlen der Altbeschichtung gereinigt. Es folgten eine Grundierung mit Leinöl-Halböl sowie Deckanstriche mit eisenroter Leinölfarbe. Als weitere Maßnahme mussten die beschädigten Lehmgefache mit Lehm ergänzt werden. Im Anschluss daran verwendeten die Maler einen reinen Kalkputz mit Kälberhaarbeigabe, der bündig zu den Holzflächen aufgebracht und mit einem zusätzlichen Kalkfeinputz ausgestattet wurde. Abgeschlossen wurde die Renovierung der Außenfassaden durch ein dreimaliges Auftragen von Silikatfarbe.

Rot im Kontext

Die Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten der Farbe Rot ist groß. Erlaubt ist dabei letztlich alles, was durch die jeweiligen Bau- bzw. Denkmalvorschriften zugelassen ist. Zu bedenken ist jedoch, dass jedes Bauwerk auch ohne solche Einschränkungen ein Bestandteil einer städtebaulichen Gemeinschaft ist. Planer und Bauherren sollten sich daher bei der Farbwahl eingehend mit den jeweiligen regionalen Bautraditionen sowie mit der Farbgestaltung in der direkten Nachbarschaft befassen, um das Gebäude durch das wahllose Verwendung ihrer jeweiligen „Lieblingsfarbe“ nicht unfreiwillig als störenden Fremdkörper erscheinen zu lassen. Einen generell harmonischen Eindruck erzielt man, wenn man auf Erdfarben oder auf Materialeigenfarben – vor allem von regional verwurzelten Baustoffen –, setzt. Zudem ist es meist sinnvoll, Farben gleicher Helligkeit zu verwenden oder monochrome Ton-in-Ton-Gestaltungen in mehreren Helligkeitsstufen zu realisieren – eine Strategie durch die sich sogar heterogene, in unterschiedlichen Stilen gestaltete Baukörper optisch zusammenfügen lassen.

Mindestens ebenso wichtig wie die Eingliederung in den städtebaulichen Kontext ist das Zusammenspiel zwischen der aufgebrachten Farbe und dem jeweiligen Oberflächenmaterial. Bei Granit oder Klinker würde niemand auf die Idee kommen, die Eigenschaften des Materials durch ein beliebiges Übertünchen mit einer Farbbeschichtung zu überdecken. In anderen Fällen kann die aufgetragene Farbe die Materialeigenschaften sogar noch unterstützen und eine Symbiose aus Material und Farbe entstehen lassen – etwa bei den vor allem im skandinavischen Raum weit verbreiteten Holzhäusern, bei denen die roten Lasuren die natürlich gewachsene Struktur und die natürliche Wärme von Holz betonen.

Kontrast zwischen Alt und Neu

Wie sich das Zusammenspiel von Material, Farbbeschichtung und städtebaulichem Kontext als zentrales Gestaltungsthema nutzen lässt, zeigt ein Projekt des Kölner Architekten Jörg Ziolkowski, der ein direkt am Rhein gelegenes ehemaliges „Fischerhauses“ vom Ende des 19. Jahrhunderts zu einem offenen und großzügigen Wohnhaus erweitert hat. Statt die rote Backsteinarchitektur des Bestandes fortzuführen, entschied er sich dabei ganz bewusst für eine sichtbare Zäsur und kontrastierte das von seiner Substanz her noch intakte Gebäude mit einem strahlend weißen Flachdach-Anbau. Für die Neubaufassade zur Straße integrierte der Architekt grell leuchtende, mit rotem Autolack lackierte (!) Kunststoffpaneele, die oberhalb der Glasfassade im Erdgeschoss einen deutlichen, aber farblich stimmigen Kontrapunkt zur rotbraunen Mauerwerksfassade und damit ein schönes Bild für den Übergang von Alt und Neu schaffen.

Ein ähnliches Konzept zeigt der Neubau der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften in Magdeburg, der in städtebaulicher Hinsicht eine seit dem Zweiten Weltkrieg bestehende Lücke zwischen zwei Gründerzeit-Häusern vom Ende des 19. Jahrhunderts schließt. Statt eines sanften Übergangs entschied sich der mit dem Bau beauftragte Architekt Peter Kulka dabei ganz bewusst für eine sichtbare Zäsur und konfrontierte die alten Stuckfassaden mit anthrazitfarbenen Ziegelfassaden sowie mit leuchtend rot, blau bzw. gelb getönten Putzfassaden. Ausdrücklich realisierte er auf diese Weise eine Hommage an das Werk des Bauhaus-Architekten Bruno Taut, der als Magdeburger Stadtbaurat zwischen 1921 und 1924 Farbe als preiswertes Gestaltungsmittel in den Siedlungsbau eingeführt hatte.

Dass sich die Farbe Rot auch für extrem in sich gekehrte Orte eignet, zeigt der „Capuzijnenhof“ im niederländischen Maastricht, bei dem die Architekten Wim van den Bergh und Ger Widdershoven ein ehemaliges Kapuzinerkloster zu einer innenstadtnahen Wohnanlage umgestaltet haben. Grundlegender Planungsgedanken war dabei der Kontrast des in Backstein errichteten Bestandes mit drei strahlend weißen und dabei stark durch die niederländischen De-Stijl-Architektur der zwanziger Jahre beeinflussten neuen Patio-Wohnungen. Die gestalterische Reduktion auf das Wesentliche betont dabei die asketische Ruhe des ehemaligen Klosters, die auch nach dem Umbau noch deutlich spürbar ist. Zusätzlichen Reiz erhält die Anlage durch mehrere rostrot lasierte Putzfassaden, die in dem mit mächtigen Kastanien und Terrassenpflanzen begrünten Innenhof eine fast südländische Atmosphäre entstehen lassen.

Rot als Zeichen des Wandels

Bei manchen Projekten ist keine harmonische Eingliederung, sondern ein deutlicher Bruch gefragt. Eines der populärsten Beispiel für eine derartige Bauaufgabe ist die signalrot lackierte und konsequenterweise mit dem technisch wirkenden Werkstoff Blech errichtete Info-Box der Architekten Schneider Schumacher, die als provisorische Ikone des Übergangs und als „Mischung aus Raumschiff und Baucontainer“ (Michael Schumacher) rund sechs Millionen Besucher anzog. Ein ähnlich starkes „Achtungszeichen“ setzt das durch die in Münster ansässigen Architekten Bolles & Wilson geplante Luxor-Theater in Rotterdam, das mit seiner ebenfalls signalroten Außenhaut einer der wichtigsten städtebaulichen Eckpfeiler auf der seit Mitte der neunziger Jahre umstrukturierten Maas-Halbinsel „Kop van Zuid“ ist. Bei der Außengestaltung des 2001 eröffneten exzentrischen Neubaus griffen die Planer auf eine Fassadenbekleidung aus übereinander geschuppten, roten Fiberzement-Paneelen zurück, die nach der Idee der Architekten sowohl die Konstruktion eines Holzschiffes als auch die hölzernen Theaterbauten in der Tradition Vitruvs und Shakespeares zitieren sollen.

Bewegtes Farbenspiel

Weiter verstärken lässt sich die Präsenz der Farbe Rot, wenn sie auf beweglichen Elementen eingesetzt wird. Ein interessantes Beispiel für diese Strategie zeigt Kreishaus Bad Segeberg, das im Zuge seiner Sanierung vor drei Jahren durch das Büro Brockstedt Bergfeld Petersen mit einer durchgehenden „Zweiten Haut“ aus Glas umgeben wurde. Die neue Hülle der Hochhausscheibe bietet nicht nur einen deutlich besseren Schutz gegen Lärm und Witterung, sondern schafft auch eine überraschende und mit wenigen Mitteln realisierte Neuinterpretation des 1972 in monotoner Skelettbauweise errichteten Baus. Zentraler Blickfang ist jetzt die hinter dem Glas liegende Innenfassade, die komplett mit rotem Glasfasergewebe verkleidet wurde – einem sonst nur für Sonnenschutz-Anlagen verwendeten Material, das hier außerdem als dynamisches Gestaltungselement für die Sonnenrollos der Bürofenster genutzt wurde und dessen warmer Farbton einen wohltuenden Kontrast zur kühlen Stahl-Glas-Architektur bietet.

Eine ähnliche Strategie hatten zwei Jahre zuvor die Architekten Sauerbruch Hutton bei der Entwicklung des GSW-Hochhauses in Berlin verfolgt, das nicht zuletzt durch die gelungene Farbgestaltung der in die Fassade integrierten Sonnenschutz-Lamellen überzeugt. Ähnlich wie bei anderen Projekten griffen die Planer dabei auf eine modisch abgestimmte Farbpalette zurück, die hier von Rostrot über Rosa und Orange bis hin zu Beige reicht und die vor allem während der Dämmerung ein warmes, kraftvoll leuchtendes Farbspiel bietet. Zusätzlichen Reiz erhält die Gestaltung durch das permanente Öffnen und Schließen der einzelnen Lamellen, wodurch sich wie in Bad Segeberg ein bewegliches Fassadenbild ergibt.

Rot als Mittel der Inszenierung

Eher auf die theatralische Ausdruckskraft der Farbe Rot setzt dagegen ein Amsterdamer Theaterbau der Mecanoo Architekten aus Delft. Mit minimalem Budget von nur 1,5 Millionen Euro wandelten die Planer eine ehemalige protestantische Kirche aus dem späten 18. Jahrhundert zu einem Theater für die Amsterdamer Theatergesellschaft „De Trust“ um. Durch wenige Eingriffe und raffiniert eingesetzte Akzente wie Farbe und Licht nutzten sie dabei die „Aura“ des alten Gotteshauses, um die Aufmerksamkeit des Publikums geschickt auf bestimmte Bereiche zu lenken. Wo früher die Orgel stand, wurde außerdem eine multifunktionale, frei stehende Box eingefügt. Der kraftvolle Farbanstrich mit tiefroten, ultramarinblauen sowie goldenen Farbtönen erzeugt dabei ein stilvolles und atmosphärisch dichtes Stage-Setting mit deutlichem Hang zum Theatralischen.

Eine weitere gelungene Verwendung von Rot im Innenbereich zeigt das 2002 eröffnete Wacker-Restaurant in Nieder-Ramstatt – der kulinarische Mittelpunkt der zwischen 1902 und 1930 errichteten Wacker-Fabrik. Mit einem ausgefallenen Farbkonzept wurde dort ein außergewöhnliches Ambiente zum Wohlfühlen und Entspannen geschaffen. Eines der zentralen Elemente ist dabei die tiefrote, samtig anmutende Decke, deren stoffliche Wirkung durch eine feinporige Struktur des Akustikputzes entsteht. Das leuchtende Rot lässt die hohe Decke näher erscheinen und nimmt dem Raum dadurch bewusst den Charakter einer Halle. Von der Decke wandert der Blick hinab zu den in glänzend-dunklem Bordeaux-Rot lackierten Stützen, deren Farbigkeit die tragende Funktion unterstreicht und gleichzeitig einen schönen Oberflächenkontrast zu den stofflich wirkenden Decken schafft. Ein weiteres wichtiges Element im Raum ist die kubusförmige, als eigenständiger Funktionsbereich wahrnehmbare Küche, die mit ihrem kräftig matten Orange Wärme und Behaglichkeit ausstrahlt. In starkem Kontrast zu dem allgegenwärtigen Rot steht die gelblich-grün hinterleuchtete Theke aus Acrylglas, die eine leuchtend grüne Oase im rot-orangen Raum schafft.

Eine wesentlich kommerziellere und in erster Linie auf die Unterhaltung eines Massenpublikums ausgerichtete Form der Inszenierung durch Farbe und Licht zeigt die Planung für die voraussichtlich im Sommer diesen Jahres fertiggestellte „Allianz-Arena“ in München. Hervor stechendes äußeres Merkmal des durch das Basler Architekten-Duo Jaques Herzog & Pierre de Meuron geplanten „Nachfolgers“ des 1972 nach Plänen von Günther Behnisch und Frei Otto realisierten Münchener Olympia-Stadions ist seine transluzente, auf den ersten Blick fast gummireifenartige Hülle, die je nach Anlass in Bayern-Rot, in 1860-Blau oder auch neutral weiß beleuchtet wird. Eine raffinierte Strategie, die Farbe und Licht als flexibles Mittel der emotionalen Identifikation und als perfekt inszenierten Baustein der Corporate Identity begreift.

© Text und Foto: Robert Uhde

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