“Noorderlicht” – Interview mit Francine Houben (Mecanoo)

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Die Balance zwischen Form und Intuition gehört zu den wichtigsten Gestaltungsprinzipien von Francine Houben vom Delfter Büro Mecanoo. Wir haben mit der Architektin über den Einsatz von Farbe, Material und Licht gesprochen.

Sie haben in den letzten 20 Jahren sehr unterschiedliche Projekte realisiert – von Wohnungs, Universitäts- und Museumsbauten bis hin zu Städtebau, Landschaftsplanung, Innenarchitektur und Bühnenraumgestaltung. Gibt es ein durchgehendes Prinzip, das Ihre Arbeiten miteinander verbindet?

Francine Houben: Jedes Projekt hängt natürlich zunächst von der jeweiligen Bauaufgabe und dem jeweiligen städtebaulichen Kontext ab. Ganz allgemein versuche ich, technische, humane und spielerische Aspekte zu verbinden und daraus eine nachhaltige und integrative Lösung mit eigener Handschrift zu realisieren. Ganz wichtig ist mir dabei die Balance von Form und Intuition – ein Aspekt, den ich vor allem bei Charles und Ray Eames bewundere.

Viele Ihrer Projekte erhalten ihren Reiz durch die ungewohnte Zusammenstellung der verwendeten Materialien. Bei ihrem eigenen Wohnhaus etwa haben Sie Holz, Kupfer oder Bambus mit Glas, Stahl und Beton zusammengebracht. Woher beziehen Sie die Inspiration für diese Kontraste?

Francine Houben: Als Vorbild dient mir vor allem der Reichtum der Natur mit ihrem Zusammenspiel von Wasser, Luft, Bäumen, Blättern oder Steinen. Gemeinsam mit Stahl, Zink oder Glas schaffen diese unterschiedlichen Materialien eine Vielzahl von interessanten Kontrasten wie hart und weich, hell und dunkel oder einfach und kostbar. Eine ganz entscheidende Rolle spielt dabei der Einsatz von Farbe und Licht, denn damit kann ich diese taktilen und sinnlichen Qualitäten weiter verstärken und gleichzeitig verschiedene Raumsituationen und vielfältige Stimmungen gestalten.

Nach welchen Kriterien gehen Sie bei der Lichtplanung vor?

Francine Houben: Bei der Tageslichtplanung geht es natürlich zunächst um die zahlreichen Wechselwirkungen zwischen thermischen, energetischen und lichttechnischen Parametern. Ganz generell bevorzuge ich Öffnungen nach Norden, denn das reflektierte “Noorderlicht” schafft eine wunderbar intensive, warme Atmosphäre im Innenraum. Bei meinem eigenen Haus reguliert dabei ein beweglicher Bambusschirm den Einfall von Licht und Sonne und damit auch das Maß an Offenheit bzw. Intimität. Ein anderes Beispiel ist die Planung des unterirdisch gelegenen Büros in Utrecht, wo das Tageslicht überwiegend über eine nach Norden platzierte Betonwand nach innen gelenkt wird.

Und in Bezug auf Kunstlicht…?

Francine Houben: Kunstlicht verwende ich meist eher reduziert und für gezielte dramatische Effekte. So, wie bei der Bibliothek der TU in Delft: Beim Betreten soll sich beim Besucher eine innere Ruhe einstellen – ganz wie in einer Kathedrale. Deshalb habe ich mich bei der Planung für die Inszenierung der riesigen blauen Wand mit dem davor stehenden Bücher-Regal entschieden, die beide durch reflektierende Leuchtstoffröhren angestrahlt werden. Ein weiteres wichtiges Element innerhalb des Beleuchtungskonzeptes sind die nach oben hin sich verjüngenden Stahlpfeiler, die in ihrem Inneren eine indirekte Deckenbeleuchtung aufnehmen. Für ausreichend Tageslichteinfall sorgen andererseits die großflächige Glasfassade nach Norden und der nach oben hin offene Kegel mit dem Lesesaal. Den schönsten Eindruck bietet das Gebäude für mich am Abend, wenn die Innenräume durch die künstliche Beleuchtung zum Exterieur werden.

Das gleiche “Mecanoo-Blau” wie in der Bibliothek findet sich auch bei der Kapelle St. Maria der Engel auf dem Friedhof St. Laurentius…

Francine Houben: …ja, und auch dort haben wir eine integrierte Lösung von Tages- und Kunstlicht realisiert. Für ausreichend Tageslicht sorgen dabei die Öffnungen unterhalb des “schwebenden Daches”. Die goldene Decke im Innenraum wird zusätzlich indirekt von unten bestrahlt.

Bei der mit minimalem Budget realisierten Umnutzung einer ehemaligen Amsterdamer Kirche zum Theatergebäude “De Trust” haben Sie im Zentrum des alten Gebäudes eine tiefrote Stahl-Box mit Theater-Bar, Küche und Erschließung ins Obergschoss eingefügt. Das Treppenhaus wird dabei durch drei alte Kronleuchter beleuchtet…

Francine Houben: …ja, auf Wunsch des Auftraggebers. Zunächst war ich eher skeptisch, weil mir diese Art von Licht eigentlich zu diffus ist. Schließlich haben wir uns gemeinsam dazu entschieden, die Kronleuchter ausschließlich im Treppenhaus zu verwenden, wo sie eine goldene Wand bestrahlen. Ansonsten war es mir wichtig, durch eine sensible Lichtführung die Aufmerksamkeit des Publikums auf bestimmte Bereiche zu lenken und mit den Farben gleichzeitig ein festliches und atmosphärisch dichtes Stage-Setting zu realisieren. Von außen wird die Erschließungs-Box mit Theaterleuchten beleuchtet, die anderen Leuchten habe ich so montiert, dass sie den beabsichtigten Kontrast zwischen Alt und Neu unterstützen. Das Resultat unseres Eingriffs ist ein Gebäude, in dem die pure Essenz der Architektur allein durch Räumlichkeit, Licht und Atmosphäre erreicht wurde. Eine wichtige Funktion haben außerdem die schwarzblauen Vorhänge im Obergeschoss: Im geöffneten Zustand erhält der Innenraum tagsüber viel Licht – sind die Vorhänge verschlossen, dann verwandelt er sich in eine dunkle Black-Box.

Haben sie bei Ihren Projekten auch schon mit Lichtkünstlern bzw. Lichtplanern zusammen gearbeitet?

Francine Houben: Bislang haben wir die Lichtplanung immer selbst übernommen und gemeinsam mit den jeweiligen Herstellern individuell angepasste Lösungen entwickelt. Für die Zukunft kann ich mir aber durchaus eine Zusammenarbeit vorstellen – etwa bei dem Projekt “Rotterdam – digital poort”, bei dem auch neue Medien- und Beleuchtungstechniken wie LED zum Einsatz kommen sollen.

Wohin wird ihrer Meinung nach die Entwicklung in Bezug auf das Kunstlicht gehen?

Francine Houben: Neben LED-Systemen wird sicher auch der Einfluss der Neuen Medien weiter zunehmen. Ein anderes Feld sind Integrierte Gebäudemanagement-Systeme, bei denen je nach Tageszeit unterschiedliche Lichtgestaltungen realisiert werden. Die ganze Technik macht aber nur dann Sinn, wenn der Mensch im Mittelpunkt steht. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Systeme individuell steuern lassen.

Welches Gebäude finden Sie in Bezug auf die Lichtlösung besonders interessant. Gibt es eine Art Vorbild?

Francine Houben: Am beeindruckendsten finde ich nach wie vor den Pantheon in Rom, der sein Licht ausschließlich durch die Öffnung der Kuppel empfängt. Ein jahrtausendealtes Bauwerk, aber in seiner Kraft und Eindringlichkeit noch immer unerreicht.

Das 1984 durch Francine Houben zusammen mit den vier Studienkollegen Henk Döll, Roelf Steenhuis, Chris de Weijer und Erick van Egeraat gegründete Büro “Mecanoo” zählt zu den erfolgreichsten niederländischen Architekturbüros der letzten 20 Jahre. Zu Beginn lag der Schwerpunkt der Gruppe vor allem in den Bereichen Wohnungs- und Städtebau. Seitdem ist Mecanoo auch auf den Gebieten Landschafts- und Innenarchitektur tätig. Die zeitgemäße Architektursprache des rund 60 Mitarbeiter zählenden Büros zeichnet sich ausgehend von der Tradition der niederländischen Moderne durch ein hohes Gespür für soziale und integrative Aspekte aus. Stilistisch prägend sind eine hohe Sensibilität hinsichtlich des Einsatzes von Farbe, Licht sowie eine ungewohnte Zusammenstellung der verwendeten Materialien. Im letzten Jahr war Francine Houben Direktorin und Kuratorin der Rotterdamer Architekturbiennale zum Thema “Mobilität”. Darüber hinaus ist sie Professorin an der Accademia de Architettura in Mendrisio (Schweiz) und unterrichtet an der TU in Delft.

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