“Zuhause beim Zahnarzt”

Created for architektur.aktuell in 2016

Kategorie

  1. Architekturjournalismus

Am Stadtrand von Brügge haben Declerck-Daels Architekten eine vorhandene Wohnbebauung durch eine städtebaulich intelligent eingebettete Zahnarztpraxis nachverdichtet. Der detailreiche Kontrast von Holz, Glas und Sichtmauerwerk aus Kalksandstein schafft ein lichtes und freundliches Ambiente, das die Patienten geschickt von der bevorstehenden Behandlung ablenkt.

Die westflämische Weltkulturerbestadt Brügge wird vor allem durch ihren mittelalterlichen Stadtkern und ihre vielen kleinen Gassen und Grachten geprägt. Puristisch-modern und angesichts der Bauaufgabe wohltuend nüchtern präsentiert sich demgegenüber die im Wohnviertel Sint-Andries neu errichtete Praxis der Zahnärztin Charlotte Mestdagh mit ihrer überzeugenden Verbindung von Architektur und Innenarchitektur.

Bei der Planung des Projekts standen die beiden Architekten Bernard Declerck und Griet Daels aus dem nahe gelegenen Roeselare vor der Herausforderung, das geforderte Raumprogramm auf der eng bemessenen Grundstücksfläche eines bestehenden Carports umzusetzen. Als überraschende Lösung entwickelten sie zwei unterschiedlich hoch ausgebildete Baukörper, die durch eine silbrig schimmernde Hülle aus vertikal verlegten, dabei unterschiedlich breiten Holzlatten zu einem homogenen Ganzen verbunden werden. Im rechten Teil des Grundstückes ergänzt und interpretiert ein doppelgeschossiges Volumen mit großer Fensterfront im Obergeschoss auf moderne Weise die Satteldach-Kubatur des Nachbarhauses. Links daneben wird das Ensemble zur Straße hin durch einen flachen eingeschossigen Anbau komplettiert, der den auf dem Hintergrundstück ansässigen Bewohnern die freie Aussicht nicht verbaut. Vervollständigt wird die Planung durch einen kleinen begrünten Innenhof, der gleichzeitig auch die rückseitige Bebauung erschließt.

Der Zugang zur Praxis erfolgt straßenseitig über eine kaum sichtbare Tür in der Holzfassade. Im Innenraum treffen die Patienten zunächst auf den Empfang mit angrenzendem Wartebereich. Linkerhand schließt sich ein Behandlungszimmer im flacheren Gebäudeteil an, rechterhand steht ein zweites Behandlungszimmer mit komplett verglastem Giebel und gebäudehoher Dachschräge zur Verfügung. Ein großes Oberlicht macht es jeweils möglich, den Blick während der Behandlung auf vorbeiziehende Wolken zu heften. Komplettiert wird das Raumangebot durch einen großen Mitarbeiterraum im straßenseitigen Teil des Obergeschosses.

Sämtliche Räume werden durch eine reduzierte, bewusst „ehrliche“ Materialsprache geprägt. Bestimmende Elemente sind das strahlend weiße Sichtmauerwerk aus Kalksandstein, der polierte Betonestrich, die vielfach sichtbar gebliebenen Stahlbetonträger sowie die zahlreichen Details aus Holz, die dem Projekt schnell den Arbeitstitel „50 Shades of Wood“ eingetragen haben. Neben Deckenbalken, Verschalungen, Fenstern sowie der Treppe fallen insbesondere die individuell für das Projekt aus unterschiedlichsten Holzarten entworfenen Möbel ins Auge. Die abwechselnd in gelb, mintgrün oder rot gestalteten Oberflächen oder Polster setzen gelungene Akzente und betonen gemeinsam mit den als Sichtschutz auf die Fenster aufgebrachten, orangefarbenen Löwenzahngrafiken den einladenden Charakter der Praxis. Willkommen beim Zahnarzt also!

© Text: Robert Uhde
© Bild: Tim Van de Velde

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