“Arme Stadt – Reiche Stadt”

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On in London, München oder in Berlin – in zahlreichen Metropolen verändern Luxussanierungen die Struktur ganzer Viertel. Angestammte Bewohner werden durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt. Doch es geht auch anders. Nicht zu vergessen: Modernisierungen reduzieren Energiekosten und leisten eine wichtigen Beitrag zur Erhaltung wertvoller Bausubstanz.

Viktor Paul Theodor Graf von, Freya Luise Appolonia, Carla Elsa Clementine Frein von – wer sich die Taufliste der Kirchengemeinde Am Weinberg in Berlin-Mitte durchliest, der könnte glauben, der Adel hält wieder Einzug in Berlin. Viele sehen die exklusiven Vornamen als Beleg einer zunehmenden Gentrifizierung, bei der die vorhandene Nachbarschaft nach Luxussanierungen durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verdrängt wird. Dieser Prozess läuft überall nach ähnlichen Mustern ab: Alte Arbeiterviertel, Hafengebiete oder andere günstige Wohnquartiere werden von Studenten und Kreativen entdeckt und aufgewertet, es entstehen Szene-Clubs, Lokale und kleine Galerien. Die steigende Attraktivität führt nach und nach zu einer wachsenden Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt; zum einen, weil die ehemaligen Studenten ins Berufsleben einsteigen, Familien gründen und trotz ihres höheren Gehalts hier wohnen bleiben, zum anderen, weil die angesagten Viertel immer stärker auch Haushalte mit höherem Einkommen ansprechen.

Was folgt ist ein langsamer Umstrukturierungsprozess, bei dem die Immobilienpreise immer weiter in die Höhe klettern und irgendwann für Haushalte mit niedrigerem Einkommen immer weniger bezahlbar sind. Befördert durch Spekulation, niedrige Zinsen und durch Luxusmodernisierung verwandelt sich das Viertel schließlich vom ehemaligen Szeneviertel zur „bevorzugten Innenstadtlage“ mit meist deutlich veränderter Nachbarschaft, wie nicht zuletzt auch die Tauflisten aus Berlin-Mitte nahelegen.

So bedenklich diese Entwicklung auch ist, für die Kommunen bedeutet diese Entwicklung andererseits gestiegene Steuereinnahmen und eine Entlastung bei der Sanierung von zuvor vernachlässigter Bausubstanz. In vielen Fällen gelingt es dabei, wertvolle denkmalgeschützte Gebäude zu erhalten und in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. Zudem sorgen energetische Modernisierungen dafür, dass der Wohnungsbestand auch bei steigenden Energiekosten bezahlbar bleibt.

„Arm aber sexy“

Anders als in München, Hamburg, Düsseldorf oder anderen westdeutschen Metropolen galt die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Berlin lange Zeit als vergleichsweise entspannt. Die besondere Bedeutung der Stadt als geteilte Frontstadt im Kalten Krieg, der traditionell geringe Bestand an Eigentumswohnungen und die geringe Kaufkraft der Einwohner garantierten lange Zeit günstige Mieten. Unter dem Slogan „Berlin ist arm aber sexy“ des ehemaligen Bürgermeisters Klaus Wowereit konnte sich die Stadt deshalb über Jahre hinweg als lebendige und dennoch bezahlbare europäische Metropole profilieren. Dieser Status hat sich inzwischen geändert: Nach einer Untersuchung des Immobilienportals Immonet haben die stark gestiegene Nachfrage an Wohnraum und das zunehmende Interesse auch ausländischer Investoren die Mieten in Berlin in den vergangenen fünf Jahren von durchschnittlich 5,64 Euro pro Quadratmeter im ersten Quartal 2009 auf 8,80 Euro im ersten Quartal 2014 ansteigen lassen. Das entspricht einem bundesweit sonst nirgends erreichten Anstieg von 56 Prozent!

Ein Brennpunkt der Entwicklung ist der Bezirk Kreuzberg. Seit den späten 1960er- und 1970er-Jahren gilt der 160.000 Einwohner zählende Stadtteil als multikulturelles Szeneviertel mit Freiraum für unterschiedlichste Lebensentwürfe. Inzwischen steigen jedoch auch hier unaufhaltsam die Mieten. Einen Beleg dafür liefert unter anderem der veränderte Umgang mit alternativen Zwischennutzungen: „Lange Zeit herrschte in Kreuzberg ähnlich wie an anderen Standorten in Berlin die stillschweigende Übereinkunft, dass Künstler leer stehende Häuser oder Grundstücke nutzen konnten, für die es keine konkreten Investitionspläne gab“, erklärt der Sozialwissenschaftler Andrej Holm, der in seinem „Gentrificationblog“ Meldungen und Nachrichten rund um die Aufwertung von Stadtvierteln aufzeichnet. „Die Besitzer tolerierten das und hofften sogar auf eine symbolische Wertsteigerung. Seit man mit den Grundstücken richtig Geld verdienen kann, ist es mit dieser Toleranz jedoch vorbei.“

Prenzlauer Berg

Ein weiterer Gentrifizierungs-Schwerpunkt in Berlin ist der Bezirk Prenzlauer Berg. Das Quartier ist geprägt durch einen großen Bestand an Gründerzeitbauten, der zu DDR-Zeiten jedoch langte Zeit stark vernachlässigt wurde. Nach der Wende wurde die marode Bausubstanz in großen Teilen modernisiert, gleichzeitig wurde das Quartier auch von vielen Westdeutschen als neues Szene-Viertel und als Wohnsitz entdeckt. Inzwischen sind weite Teile des attraktiven Altbaubestandes saniert. Die hohe Nachfrage hat die Mieten dabei immer weiter nach oben getrieben. Alte Menschen oder Arbeiter trifft man entsprechend nur noch selten. Stattdessen wird das Straßenbild rund um den Kollwitzplatz überwiegend von jungen Akademiker-Familien geprägt.

Wer bei diesem Verdrängungswettbewerb auf der Strecke bliebt, dem bleibt nur der Umzug in Stadteile wie Lichtenberg oder Marzahn, wo die Mieten bislang deutlich niedriger sind. Kaum verwunderlich also, dass der Begriff „Gentrifizierung“ für viele inzwischen zum Kampfbegriff geworden ist. Dabei wird jedoch übersehen, dass eine sozial verträgliche Sanierung auch Chancen und neue Perspektiven bietet. Denn so romantisch der Geruch alter Ofenheizungen und Toiletten im Treppenhaus für manche auch sein mögen – in vielen Fällen war und ist eine Sanierung und Instandsetzung der oftmals seit Jahrzehnten vernachlässigten Wohnungen unumgänglich.

Darüber hinaus bietet eine energetische Modernisierung oftmals die Möglichkeit für eine erhebliche Einsparung von Nebenkosten. Nach einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag der “Berliner Zeitung” würden entsprechend 51 Prozent der befragten Berliner mehr Miete zahlen, wenn ihr Haus mit Thermofenstern, einer sparsamen Heizung oder mit Wärme aus anderen erneuerbaren Energien ausgestattet wird. Zudem muss eine Sanierung nicht zwangsläufig eine Luxussanierung bedeuten. Denn neben Projekten von international tätigen, oftmals nur auf Gewinn ausgerichteten Immobilienunternehmen stehen die vielfältigen Aktivitäten der Berliner Wohnungsbaugesellschaften, die in aller Regel großes Interesse daran haben, ihre Mieter zu behalten.

Sozialverträgliche Sanierung

Ein gelungenes Beispiel für ein sozial verträgliches Face-Lifting zeigt in diesem Zusammenhang die von der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag durchgeführte Modernisierung des denkmalgeschützten Glaßbrennerblocks im nördlichen Prenzlauer Berg. Die 1929 errichtete Wohnanlage umfasst 200 Wohnungen, die zuletzt vom Keller bis zum Dach komplett saniert wurden. „Ein innovativer öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen uns und dem Bezirk Pankow stellt dabei sicher, dass die Mieten auch nach der Modernisierung für die Bewohner bezahlbar bleiben“, erklärt der damalige Gewobag-Vorstand Hendrik Jellema. Darüber hinaus ist das Unternehmen seit zwei Jahren dazu übergegangen, den eigenen Bestand an Wohnungen durch Zukäufe kontinuierlich zu erweitern, um die Mieter vor Verdrängung zu schützen. Zuletzt wurde unter anderem ein Wohnblock in der Kuglerstraße erworben.

In den meisten Fällen folgt auf eine Sanierung jedoch eine deutliche Mieterhöhung. Zudem werden überall in Berlin immer mehr Wohnungen zu deutlich rentableren Ferienquartieren oder zu Eigentumswohnungen umgewandelt. Um diese Entwicklungen zu stoppen, schlagen viele Experten eine Renaissance des Sozialen Wohnungsbaus vor, um so auch Menschen mit niedrigerem Einkommen den Verbleib in ihren angestammten Quartieren zu ermöglichen. Als weiteren Lösungsansatz hatte das Bezirksamt Pankow bereits Anfang 2013 Luxussanierungen und die Nutzung von Wohnungen als Ferienunterkünften in einigen Gebieten untersagt. „Jetzt wollen wir auch von unserem Vorkaufsrecht Gebrauch machen, wenn die Gefahr besteht, dass diese Häuser an einen neuen Eigentümer übergehen sollen, der die Mieten stark erhöhen will“, erklärt der zuständige Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner. „Auf diese Weise wollen wir sicherstellen, dass Sanierung und Mietsteigerung sozial verträglich gestaltet werden.“ Damit die Stadt auch weiterhin ein lebendiger Ort für unterschiedlichste Bevölkerungsschichten und unterschiedlichste Lebensentwürfe bleibt.

© Text: Robert Uhde

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