“Ganz in Tweed”

Created in 2007

Kategorie

  1. Architekturjournalismus

Created für TGA Fachplaner

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Alfred-Wegener-Institut, Bremerhaven

An der Fischereihafenschleuse in Bremerhaven wurde vor kurzem der Neubau des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung (AWI) eröffnet. Das 47,5 Millionen Euro teure Projekt des Münchner Architekturbüros Steidle + Partner erweitert den rund 1.00 Meter weiter nördlich gelegenen, Anfang der achtziger Jahre durch Oswald Matthias Ungers geplanten Vorgängerbau des Instituts und stellt auf einer Nutzfläche von 7.600 Quadratmetern biologische und chemische Labore für rund 240 Mitarbeiter zur Verfügung.

Das 1980 gegründete, nach dem Geophysiker und Polarforscher Alfred Wegener (1880 – 1930) benannte AWI gehört zu den renommiertesten Forschungseinrichtungen Deutschlands. Neben der Forschungsstelle Potsdam, der Biologischen Anstalt Helgoland und der Wattenmeerstation Sylt umfasst die Stiftung auch das Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Aufgrund der erfolgreichen Arbeit dieses Standortes und dem damit einher gehenden stetigen Anstieg der Mitarbeiterzahl mussten die Forscher dort über Jahre hinweg teilweise in zusätzlichen Bürocontainern und Büroräumen arbeiten, die das Institut im gesamten Stadtgebiet angemietet hatte. Ende der neunziger Jahre entschied sich die Stiftung dann dazu, die vorhandenen Flächen am Standort Columbusstraße durch einen etwas weiter südlich gelegenen Neubau zu erweitern. Aus dem 1999 ausgeschriebenen Verhandlungsverfahren ging schließlich das Münchener Büro Steidle + Partner um den im Frühjahr 2004 im Alter von 60 Jahren verstorbenen Architekten Otto Steidle als Sieger hervor.

Gelungene Integration

Mit seinen containerartig wirkenden Aufbauten und seiner ungewöhnlich kolorierten Fassade zählt der direkt gegenüber der Fischereihafenschleuse errichtete Neubau neben dem Vorgängerbau des AWI von Oswald Matthias Ungers (1980-84), der Hochschule von Gottfried Böhm (1982-85), dem Deutschen Schifffahrtsmuseum von Hans Scharoun (1970-76) sowie dem jüngst eröffneten Auswandererhaus von Andreas Heller (2003-05) zu den interessantesten architektonischen Blickpunkten in Bremerhaven. Dem spitzwinkligen Hafengrundstück entsprechend entwickelten die Architekten den Entwurf als geschlossenes dreigeschossiges Volumen, dessen fünfeckiger Grundriss intelligent auf die vorgefundene städtebauliche Situation reagiert – auf den Weserdeich im Westen, den Handelshafen im Süden sowie auf vorhandene Gebäude im Osten und Norden. Als weiteren Reflex auf den Standort nimmt der durch insgesamt 470 Betonstützen von jeweils 20 Meter Länge aufgeständerte Bau verschiedene Schiffsmotive auf, etwa durch seine weit auskragenden Turmaufbauten in den oberen Ebenen, die wie Brücken moderner Frachtschiffe wirken, oder durch die ganz bewusst an Gangways erinnernde Reihung von Außentreppen an der südlichen Außenfront des Gebäudes.

Um Tageslichteinfall, Raumprogramm und Erschließung in eine optimale Form zu bringen, wurde der Neubau durch fünf versetzt platzierte und dabei unterschiedlich begrünte Innenhöfe untergliedert, die in den nach innen orientierten Räumen für ausreichend natürlichen Lichteinfall sorgen und gleichzeitig einen freien Zugang der Mitarbeiter an die Außenluft ermöglichen. In den Ebenen eins, zwei und drei wurden rings um die jeweils 12 x 12 Meter großen Innenhöfe die Büros und die Labore sowie die Erschließungsflure angesiedelt. Die Bibliothek, besondere Besprechungsbereiche sowie die über zwei Geschosse reichende Kantine mit der angrenzenden Außenterrasse wurden dagegen in den drei turmartigen Aufbauten untergebracht, die zentralen Technikflächen, Lager, der Container- und Werkstattbereich sowie die erforderlichen PkW- und Fahrradstellplätze liegen im Erdgeschoss.

Fassadenausführung und Farbkonzept

Ähnlich spektakulär wie die äußere Form präsentiert sich die gemeinsam mit dem Berliner Künstler Erich Wiesner entwickelte Farb- und Fassadengestaltung des Neubaus: Sämtliche Außenhüllen wurden als hinterlüftete glasierte Verblendfassaden konstruiert, wobei die farbig glasierten Ziegel ganz bewusst so verlegt wurden, dass sie kein figuratives Ornament, sondern ein abstraktes Bildmuster ergeben. Auf den Außenfassaden entstand dabei unter Verwendung drei unterschiedlicher Steinfarben (weiß, grau und schwarz) ein lebendiges, mit einem Tweedstoff vergleichbares horizontales und vertikales Verweben verschiedener Farbbänder, die jedoch im Zusammenspiel ein homogenes Bild ergeben. Die Innenhof-Fassaden wurden im Kontrast einheitlich in gelb, grün, schwarz oder weiß gestaltet.

Nachhaltiges Energiekonzept

Dem Forschungsauftrag des Alfred-Wegener-Instituts zur Erforschung und Untersuchung der Polarmeere sowie der komplexen Zusammenhänge des weltweiten Klimas entsprechend, wurde bei der Planung des Neubaus in enger Zusammenarbeit mit dem hinzugezogenen Hamburger Ingenieurbüro Kriegel ganz bewusst das Ziel verfolgt, den Primärenergieeinsatz und damit die Schadstoff- und speziell die CO2-Emissionen zu minimieren. Das Ergebnis sind einfache Systeme wie die oben erwähnte Integration von Innenhöfen zur optimierten Tageslichtnutzung oder der Einbau zweischaliger Kastenfenster mit manuell öffenbaren Außenfenstern und im Kastenzwischenraum angebrachten Sonnenschutz-Lamellen zur windunabhängigen und individuell steuerbaren natürlichen Belüftung und Belichtung des Gebäudes.

Die Kastenfensterfassaden mit der vorgesetzten Klinkerschale gewährleisten gleichzeitig geringe Transmissionswärmeverluste sowie geringe äußere Kühllasten und schaffen bei entsprechender Lamellenstellung die Möglichkeit der sommerlichen Nachtauskühlung. Darüber hinaus integrierten die Planer eine Betonkernaktivierung (BKT), die über die Temperierung der massiven Decken mittels wasserdurchflossenen Rohrsystemen die Speichermasse des Gebäudes nutzt, sodass die Deckenflächen im Sommer wie im Winter mit ihrer im Kern gespeicherten Energie einen natürlichen und für die Menschen sehr behaglichen Temperaturausgleich in den Räumen bewirken. Das in den Betondecken zirkulierende Wasser präpariert den Betonspeicher für den folgenden Tag, so dass je nach Raumtemperatur ein selbsttätiger Energieausgleich stattfinden kann. Durch das Zusammenspiel von Nachtauskühlung und Betonkernaktivierung konnte schließlich komplett auf den Einbau einer zusätzlichen Klimaanlage verzichtet werden, ohne dass eine sommerliche Wärmeentwicklung innerhalb des Gebäudes über 27˚ Celsius hinaus zu befürchten ist. Darüber hinaus war es möglich, in den Fluren komplett ohne Heizkörper auszukommen und in den Büros erheblich reduzierte Heizkörper einzuplanen.

Als ein weiterer Vorteil begünstigt die zur Anwendung gelangte Betonkernaktivierung die Nutzung der Abwärme von Kältemaschinen und Brennwertkesseln zur Außenluftvorerwärmung bei niedrigem Temperaturniveau sowie zur Trinkwasservorwärmung. Die Kühlung sämtlicher Anlagen erfolgt durch das Wasser des angrenzenden Hafenbeckens, dem mit Hilfe von Wärmetauschern Kälte entzogen wird.

Wärme, Kälte und Strom per BHKW

Als Grundlage des umfangreichen Konzeptes zur Klimatisierung des Gebäudes fungiert ein zentrales erdgasbetriebenes Blockheizkraftwerk, das mit seiner Kraft-Wärme-Kälte-Kopplung eine wirtschaftlich sinnvolle gleichzeitige Erzeugung von Strom und Wärme/Kälte ermöglicht. Die Abwärme des BHKW wird in Verbindung mit einer Absorptionskälteanlage vorrangig zur Erzeugung von Kälte genutzt. Zur Abdeckung von Spitzenlasten dienen zwei zusätzliche elektrisch betriebene Kompressionskältemaschinen, die bei Ausfall der Freikühlung und der Absorptionskältemaschine zur Versorgungssicherheit das Rechenzentrum und die Kühlräume auf jeden Fall mit ausreichend Kälte versorgen.

Die durch das BHKW erzeugte elektrische Energie steht rund um die Uhr im Dauerbetrieb netzparallel zum Eigenbedarf zur Verfügung. Bei eventuellen Störungen oder einem Ausfall des allgemeinen Netzes dient sie außerdem zusätzlich als Netzersatz zum Weiterbetrieb wichtiger Laboreinrichtungen bzw. elektrischer Verbraucher, die dauernd mit Strom versorgt sein müssen, um laufende wertvolle Experimentiervorhaben nicht zu gefährden. Reduziert wird der allgemeine Stromverbrauch durch eine integrierte Gebäudeleittechnik, die gleichzeitig Spitzenlasten begrenzt. Mittels Prozessfernüberwachung ist es außerdem möglich, die energetisch optimale Funktionsweise von Feuerungs- und raumlufttechnischen Anlagen zu kontrollieren und gegebenenfalls zu korrigieren.

Als weitere ökologische Komponente setzt der Neubau des Alfred-Wegener-Instituts auf den Einsatz von Hafenwasser in der Löschwasseranlage sowie auf die Nutzung von Regenwasser, das auf den begrünten Flachdach- und Innenhofflächen des Neubaus anfällt. Über Sammelleitungen wird das Wasser einer Regenwasseraufbereitungs- und Sammelanlage innerhalb des Gebäudes zugeführt und anschließend unter anderem für die WC-Spülung genutzt. Eine ganz besondere Bedeutung kommt dabei der durch das Wiener Landschaftsplanungsbüro Auböck und Kárász realisierten Bepflanzung der einzelnen Innenhöfe inklusive der dabei eingesetzten Substrate zu: Denn mit ihrer Hilfe erfahren die gesammelten Dachwässer nicht nur eine erste Vorfiltration, sondern so „ganz nebenbei“ fungieren die Pflanzen und das Substrat auch als zusätzliche Wärmedämmschicht für das Gebäude.

Modernste Laborausstattung

Um einen möglichst flexiblen Forschungsbetrieb zu gewährleisten, bietet der Institutsneubau hochwertig ausgestattete Laborräume – darunter insgesamt 18 Kühlräume, Kulturräume und Kaltlabore, die die Durchführung biologischer Experimente unter kontrollierten Temperaturbedingungen in wählbaren Temperaturbereichen zwischen +20 und -30° Celsius ermöglichen. Das AWI-eigene NMR-Labor (Kernmagnetresonanz-Labor), in dem mit Hilfe von starken Elektromagneten molekulare Strukturen untersucht werden können, bietet gleichzeitig die Voraussetzung für anspruchsvollste biologische Experimente. Sämtliche Labore verfügen über eine universelle Grundausstattung und können so jederzeit den jeweiligen Forschungsvorhaben angepasst werden. Im Erdgeschoss des Neubaus stehen den Forschern außerdem die wissenschaftlichen Werkstätten des AWI zur Verfügung. Um jederzeit eigenständig und autonom neue Geräte und Apparaturen für spezielle Vorhaben zur Polarforschung anfertigen zu können.

© Text + Foto: Robert Uhde

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