“Leben unterm Grasdach”

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  1. Architekturjournalismus

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Wohnsiedlung “Laher Wiesen” in Hannover

Die 1984 bezogene Wohnsiedlung “Laher Wiesen” in Hannover-Bothfeld ist eines der bedeutendsten Beispiele aus der Pionierzeit des ökologischen Bauens. Die in Bauherrengemeinschaft unter Leitung der Architekten Hermann Boockhoff und Helmut Rentrop realisierte Reihenhaussiedlung stellt trotz ihres homogenen Gesamteindruckes eine Vielzahl unterschiedlicher Wohnungsgrundrisse bereit. 1985 erhielt das Projekt einen Sonderpreis beim BDA-Preis Niedersachsen.

Seit der Experimentierphase im ökologischen Siedlungsbau während der 70er Jahre sind bundesweit rund 150 Ökosiedlungen und -dörfer entstanden – von der verwilderten Lehmbausiedlung mit Grasdach bis hin zur kühlen Glas-Stahl-Solarstrom-Siedlung. Eines der ersten Projekte dieser Art war das in Hannover- Bothfeld gelegene Quartier “Laher Wiesen”. Das 1984 fertiggestellte Projekt ist eines der bundesweit größten in Bauherrengemeinschaft realisierten Wohnsiedlungen und repräsentiert in idealtypischer Weise die Prinzipien des ökologischen Bauens, der Nutzerbeteiligung und des gemeinschaftlichen Wohnens.

Die Siedlung wird von einer Straße in Ost-West-Richtung erschlossen, von der nach beiden Seiten Wohngassen mit je neun bis elf Häusern abgehen. Dabei finden sich zwei unterschiedliche Haustypen – ein einfaches zweigeschossiges Reihenhaus und ein zweigeschossiges Gartenhofhaus, das auf seiner Rückseite um einen eingeschossigen, flexibel nutzbaren Anbau erweitert ist. Sämtliche Häuser einer Gruppe gleichen sich im Schnitt, den Materialien und der Holz-Konstruktionsweise mit zweischalig gemauerten Zwischenwänden. Große Unterschiede bestehen hingegen in Bezug auf Hausbreite (6,5 m bis 12 m), Raumaufteilung und Detailgestaltung. Ohne Gestaltungssatzung, ohne Zwang und ohne Materialverbote ist auf diese Weise ein differenziertes, durch die Wünsche der einzelnen Bauherren auch phantasievolles, aber dennoch einheitliches Siedlungsbild entstanden. Der überwiegende Teil der Grundrisse erlaubt dabei ein konsequentes “Durchwohnen” von West nach Ost durch einen Familienraum ohne Flure im Erdgeschoss.

Die Idee zu dem Projekt entstand, als drei Familien in Gemeinschaftsarbeit eine Freie Waldorfschule errichtet hatten und in unmittelbarer Nähe der Schule ihren Wunsch nach einer Einheit von Leben-Lernen -Arbeiten und gesundem Wohnen verwirklichen wollten. Von 1982 bis 1983 wuchs die Interessengemeinschaft schnell auf über 60 Familien an, so dass schließlich eine Unterteilung in zwei Bauabschnitte notwendig wurde – im ersten Bauabschnitt wurden 46 Häuser, im zweiten weitere 23 Häuser errichtet. In intensiver Zusammenarbeit zwischen den Bewohnern und den beauftragten Architekten Hermann Boockhoff und Helmut Rentrop konnten dabei schon im Vorfeld die einzelnen individuellen Bedürfnisse der Bewohner geklärt und umgesetzt werden.

Der Anspruch, den finanziellen Rahmen möglichst niedrig zu halten, wurde insbesondere durch die hohe bauliche Dichte sowie durch die Minimierung sämtlicher Erschließungsflächen und den Verzicht auf eine Unterkellerung erreicht. Um weitere Kosten einzusparen, werden die Häuser jeweils gruppenweise mit Wärme und Warmwasser versorgt. Sämtliche Versorgungsleitungen wurden dabei nicht vor dem Haus vergraben, sondern liegen in einem gut erreichbaren Schacht unterhalb der Häuser. Als weitere wichtige Maßnahme zur Kostenminimierung führten die Bauherren einen Teil der leichteren Arbeiten selbst durch. Während der ersten Ausbauphase wurden dazu drei “Selbsthilfelehrer” engagiert, die praktische Hilfestellungen gaben.

Trotz dieses hohen Engagements aller Beteiligter hatte das Projekt noch während der Bauphase mit einigen Widrigkeiten zu kämpfen: Die Baukosten waren teilweise zu niedrig eingeschätzt worden, so dass sich für einige Bauherren eine enorme Kosten-Steigerung ergab. Ansonsten aber haben sich die Vorstellungen in Bezug auf gemeinschaftliches ökologisches Wohnen weitgehend erfüllt, wie der Blick auf die äußerst geringe Fluktuation von etwa 10 bis 15 % belegt. Wer heute durch die kleinen Gassen mit Namen “Ewige Weide”, “Im Zittergras” oder “In den Binsen” läuft, der taucht ein in eine grüne Oase mit üppig wachsenden Grasdächern, farbig gestrichenen Holzfassaden, nachträglich angelegten Wassergräben mit kleinen Brücken sowie einladenden Wintergärten im Eingangsbereich.

Größere Umbauten hat es in der Siedlung während der vergangenen 20 Jahren kaum gegeben. Nur vereinzelt wurden einige Wohnungen durch kleinere eingeschossige Anbauten zur Gartenseite erweitert. Eine weitere Veränderung betrifft die Farbe der Fensterrahmen, die nur noch selten in den ursprünglichen Blau- und Rottönen gehalten sind. In anderen Wohnwegen hat sich dagegen ein buntes Nebeneinander individueller Farbkonzepte durchgesetzt. Die kleinen Gartenhäuser werden zumeist als abgetrennte Einliegerwohnung vermietet, wurden in die Hauptwohnung integriert oder dienen als Werkstatt oder Atelier. Nur in wenigen Fällen werden sie für das ursprünglich stärker vorgesehene Mehrgenerationen-Wohnen als Seniorenwohnung für die Eltern oder als separierter Wohnbereich der heranwachsenden Kinder genutzt.

Trotz der schmalen Wohnwege, die auf den ersten Blick den Eindruck einer außergewöhnlich intimen nachbarschaftlichen Nähe vermuten lassen, wurde das Gemeinschaftsprinzip der Siedlung von Anfang an nicht überstrapaziert. Der Zeilenbau ermöglicht enge Nachbarschaftskontakte genauso wie ein zurück gezogenes und abgeschirmtes Wohnen in selbst gewählter Distanz. Die Intensität der nachbarschaftlichen Beziehungen variiert dabei von Wohnweg zu Wohnweg. So werden auch die am Kopfende der einzelnen Häuserzeilen errichteten Gemeinschaftsräume nur zum Teil genutzt – in anderen Fällen wurden sie dagegen inzwischen zu Wohnungen umgebaut.

Der überwiegende Teil der Bewohner entstammt der akademischen Mittelschicht. überrepräsentiert sind dabei vor allem Architekten, Lehrer, Sozialarbeiter, Künstler oder Selbstständige. Alleinstehende, Paare ohne Kinder oder alte Menschen sind dabei eher die Ausnahme. Dennoch sehen sich die Bewohner der Siedlung keineswegs als homogene oder gar ideologische Einheit. Gemeinschaftliche Sitzungen finden eher spontan statt, engere Kontakte gibt es in der Regel nur innerhalb eines Wohnweges. Wie in gewöhnlichen Siedlungen ergibt sich ein großer Teil der Kontakte dabei durch gemeinsame Pflichten und Verantwortlichkeiten – wie etwa bei dem jetzt nach rund 20 Jahren in den meisten Häusern anstehenden Austausch der Gas-Heizungsanlage gegen einen modernen Brennwertkessel, der künftig für 20 bis 30 % weniger Energieverbrauch sorgen soll. Und auch bei vielen kleineren baulichen Mängeln, die zumeist den Zustand der Holzfassaden oder -fenster betreffen, setzen die Bewohner konsequent auf Nachbarschaftshilfe. Und wenn auch das nicht mehr weiter hilft: Direkt vor Ort hat einer der ehemaligen “Selbsthilfelehrer” eine Werkstatt eröffnet. Die Öko-Siedlung als Start in die Selbstständigkeit.

© Text und Foto: Robert Uhde

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