“Mit Periskop-Blick”

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  1. Architekturjournalismus

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„Periskop-Wohnungen“ in Rotterdam

Das Quartier Nesselande gehört zu den jüngsten Stadterweiterungen in Rotterdam. Am nordöstlichen Rand des Viertels hat die Architektin Joke Vos zwölf „Periskop-Wohnungen“ realisiert, die ihren Bewohnern einen großzügigen Panoramablick über das Wasser bieten.

Am nordöstlichen Stadtrand von Rotterdam wird seit einigen Jahren das Quartier Nesselande neu erschlossen. Am Ufer des künstlichen Sees „Zevenhuizer Plas“ sollen hier bis 2012 in mehreren Bauabschnitten insgesamt rund 10.000 Wohnungen für rund 25.000 Bewohner fertiggestellt sein. Um dabei unterschiedliche Planungskonzepte für unterschiedliche Ansprüche realisieren zu können, setzt sich das Viertel aus drei Teilgebieten zusammen; der attraktivste Abschnitt ist dabei das am nordöstlichen Rand von Nesselande in einer kleinen Bucht gelegene Teilgebiet „Waterwijk“ („Wasserviertel“). Entlang kleiner, neu angelegter Grachten sollen hier bei Fertigstellung des Projekts 500 Wohnungen realisiert sein – der größte Teil davon als individuell nach eigenen Vorstellungen realisierte Eigentumswohnungen.

Ambitionierte städtebauliche Planung

Um entsprechend der ambitionierten städtebaulichen Planung für das Wasserviertel auch eine ansprechende architektonische Qualität der Bebauung sicherzustellen, hatte die Stadt Rotterdam zu Beginn der Planung einen begrenzten Ideenwettbewerb als Inspirationsquelle künftiger Entwicklungen ausgeschrieben. Der Erfolg dieses vorbildlichen Engagements ist jedoch eher bescheiden. Denn trotz aller Anstrengungen wurden letztlich fast ausschließlich die aus Katalogen vertrauten Standardhaustypen realisiert.

An den Rändern des Gebietes ragen jedoch einige interessante Projekte aus der Masse hervor – darunter auch die so genannten „Periskop-Wohnungen“ der vor Ort ansässigen Architektin Joke Vos in der Straße Marinus van Elswijkkade. Das Projekt geht zurück auf einen zweiten Ideenwettbewerb der Stadt Rotterdam, bei dem ganz explizit ein Demonstrationsprojekt für das Quartier gefragt war. Die auf Basis dieses Wettbewerbs entwickelte Wohnzeile reiht zwölf dreigeschossige Wohnungen mit einer Wohnfläche von jeweils 280 Quadratmetern aneinander. Spektakulärer Blickfang nach außen und nach innen sind dabei die großformatigen, jeweils über zwei Geschosse reichenden Panorama-Fenster in Richtung Süden. Die periskop-artigen Öffnungen ermöglichen ihren Bewohnern nicht nur eine traumhafte Aussicht auf die direkt vor den Häusern neu angelegte Wasserfläche, sondern schaffen gleichzeitig eine markante Silhouette und eine rhythmisch interessante und abwechslungsreiche Staffelung der Anlage.

Um die für die Bebauung zur Verfügung stehende Grundstücksfläche optimal zu nutzen und die Lage am Wasser zusätzlich zu betonen, wurden die zwölf Einheiten in vier frei stehenden Gruppen mit jeweils drei Häusern angeordnet. Jede der vier Gruppen bildet eine eigene kleine Wohninsel, die jeweils durch eine kleine, rund neun Meter breite Bucht vom benachbarten Wohneiland getrennt wird. Eine Besonderheit bei der Fertigstellung der Häuser war dabei die Errichtung sämtlicher Einheiten auf vorgefertigten Gründungspfeilern, um sie gegen Bodenbewegungen und Grundwasserdurchfluss zu sichern. Bis zur Fertigstellung der erforderlichen Baumaßnahmen wurden die einzelnen Grundstücke jeweils durch einen temporären Erdwall vom angrenzenden Wasser getrennt, der anschließend wieder abgetragen wurde.

Markante Formgebung

Zusätzlichen Reiz erhält die Wohnanlage von Joke Vos durch den zum Wasser hin nach außen geknickten, kelchförmigen Grundriss der einzelnen Dreiergruppen, durch den der periskop-artige Eindruck der Häuser noch verstärkt wird. Die markante Ausrichtung hat nicht nur ästhetische Gründe, sondern schafft auch die Grundlage für eine optimierte Besonnung. Denn im Vergleich zu der sonst bei Reihenhauszeilen üblichen parallelen Aneinanderschachtelung der unterschiedlichen Einheiten bietet die hier realisierte Anordnung und Ausrichtung eine vergrößerte Fassadenfläche in Richtung Süden und somit mehr Tageslicht je Einheit. Als weitere Besonderheit kragen die beiden oberen Ebenen der einzelnen Einheiten weit über das deutlich kleinere Sockelgeschoss hinaus, um so eine maximale Nutzfläche bei festgeschriebener Bebauungsfläche zu erhalten.

Als ähnlich durchdacht erweist sich die Lösung zur Anordnung der Pkw-Stellflächen: Um für alle Parteien trotz der begrenzten Fläche eine eigenen überdachten Parkplatz bereitstellen zu können, wurden sämtliche Wohnungen nach dem so genannten „Drive-in“-Prinzip mit einer Garage im Erdgeschoss ausgestattet. Komplettiert wird die Wohnanlage von Joke Vos durch ein fünftes Eiland am westlichen Ende der Straße, auf dem sich neben zusätzlichen Pkw-Stellflächen auch ein kleiner Spielplatz findet. Sämtliche Parkplätze wurden mit schwarzen Betonsteinen gepflastert, die für eine abwechslungsreiche Gestaltung jeweils mit einigen weißen Steinen kontrastiert wurden. Als Abgrenzung der Stellflächen wurden mit Steinen gefüllte Gabionen gewählt.

Großen Wert legten die Planer auf eine hochwertig detaillierte und bewusst kontrastreiche Materialwahl, um so die markante Form der Häuser zu betonen: Die quaderförmigen Sockel wurden mit einem Sichtmauerwerk aus schwarz-silbrig schimmernden Klinkern gestaltet. Für die lediglich durch schmale horizontale Fensterbänder geöffneten Fassaden der beiden darüber liegenden Ebenen wählte das Büro dagegen horizontal gegliederte Aluminium-Paneele. Die Außenterrassen, die Fassadenverkleidungen im Bereich der doppelgeschossigen Panoramafenster, die Garagentore auf der Nordseite der Wohnungen sowie Fenster- und Türrahmen wurden im Kontrast zu diesen eher kühl wirkenden Materialien durchgehend in Western-Red-Cedar-Holz ausgeführt.

Großzügige Innenraumaufteilung

Entsprechend der jeweiligen Position der Wohnungen in der Mitte oder an einer der beiden Außenseiten einer Wohninsel haben die Planer die unterschiedlichen Einheiten ganz bewusst mit leicht abweichenden Grundrissvarianten realisiert. Die Erschließung der einzelnen Wohnungen erfolgt dabei je nach Lage entweder direkt von der Straßenseite aus oder über einen kleinen Steg entlang der Außenfassade. Über einen kleinen Flur entlang der Garage schließt sich von dort ein kleineres Wohnzimmer mit Zugang zu einer 5,70 x 5,70 Meter großen, teilweise über Eck laufenden Außenveranda an. Auf der mit Holzbohlen gestalteten Außenfläche können die Bewohner der Anlage nicht nur die traumhafte Lage direkt am Wasser genießen, hier haben sie über einen kleinen Bootsanleger auch die Möglichkeit, zu kleinen Bootsfahrten über den angrenzenden See aufzubrechen.

Im ersten Obergeschoss der Häuser integrierten die Planer ein großes lichtdurchflutetes Hauptwohnzimmer mit freier Aussicht aufs Wasser und einer angegliederten offenen Wohnküche in gegenüber liegender Richtung zur Verfügung. Sämtliche Nebenfunktionen wie Treppenhaus und Badezimmer wurden dabei jeweils am Rand des Raumes untergebracht, um eine möglichst große und weitgehend frei einteilbare Wohnfläche zu erhalten. Das zweite Obergeschoss mit Schlaf- und Kinderzimmern lässt sich je nach individueller Vorliebe und Familiengröße ebenfalls frei einteilen und kann bei veränderten Anforderungen ohne größere Umbauten problemlos umstrukturiert werden.

Komplettiert wird das Raumangebot der Neubauten durch eine über zwei Ebenen reichende, vom Wohnzimmer aus erschlossene Loggia mit Balkon in Richtung Süden. Im Zusammenspiel mit den zweigeschossig ausgebildeten Panoramafenstern bietet sich den Bewohnern ein fließender Übergang zwischen Innen und Außen, der die Balkone als direkte Verlängerung des Wohnzimmers nach außen erscheinen lässt. In einem Fall wurde zusätzlich zur Loggia im ersten Obergeschoss auch ein Balkon im zweiten Obergeschoss realisiert.

Zwei weitere gelungene Details in diesem Bereich sind die mit geriffeltem Hartholz verkleideten Fassadenflächen auf der Innenseite der Loggien sowie die ebenfalls aus Holz gefertigten Außenlamellen vor den Panoramafenstern zum Schutz vor Überhitzung und Blendung. Jedes Panoramafenster wurde mit insgesamt acht getrennt voneinander steuerbaren Jalousien ausgestattet. Je nach dem Stand der Sonne und dem Bedürfnis der Bewohner nach Intimität bietet sich so ein bewegtes Bild von teilweise geöffneten und teilweise geschlossenen Lamellen, die je nach Wunsch unterschiedliche Ein- und Ausblicke auf die angrenzende Wasserfläche und die gegenüber liegende Bebauung zulassen.

© Text + Foto: Robert Uhde

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