“Optimiertes Zusammenspiel”

Created in 2006

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  1. Architekturjournalismus

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In Dessau wurde im vergangenen Jahr das neue Umweltbundesamt (UBA) eröffnet. Der nach Plänen der Berliner Architekten Matthias Sauerbruch und Louisa Hutton in enger Zusammenarbeit mit dem Ingenieurbüro Zibell Willner und Partner entwickelte Gebäudekomplex gilt als eines der wichtigsten Demonstrationsvorhaben des ökologischen Bauens der vergangenen Jahre. Er verbindet eine kompakte Gesamtform und eine hohe Außenwanddämmung mit verschiedenen Strategien intelligenter Haustechnik und dem Einsatz erneuerbarer Energien. Als wichtigste Maßnahmen zur Senkung des Energieverbrauchs wurden einer der weltweit größten Luft-Erdwärmetauscher, eine Photovoltaikanlage sowie solargestützte Kälteerzeugung integriert.

Durch seine Anstrengungen in den Bereichen Energieeinsparung und Erneuerbare Energien hat sich Deutschland in den vergangenen Jahren weltweit zum Vorreiter in Sachen Umweltschutz entwickelt. Kein Wunder also, dass der Planungsaufgabe „Umweltbundesamt“ als zentraler wissenschaftlicher Behörde des Bundes für den Umweltschutz von Anfang an eine hohe repräsentative Bedeutung beigemessen wurde. Schon kurz nach der Wiedervereinigung hatte die Föderalismuskommission 1992 die Verlagerung des Hauptsitzes des UBA von Berlin nach Dessau beschlossen. Den anschließend ausgeschriebenen Architektenwettbewerb, der neben einer schlüssigen und überzeugenden architektonischen Gestaltung insbesondere die Verwendung ökologischer Materialien sowie den Einsatz eines avancierten Energiekonzepts einforderte, konnte schließlich das renommierte Berliner Büro Sauerbruch Hutton 1998 mit einem Vorschlag für ein schlaufenartig gestaltetes Gebäudeband für sich entscheiden.

Ökologisch begründete Standortwahl

Bereits der Standort des UBA, die Brache des ehemaligen Dessauer „Gasviertels“, auf der 1855 die erste industrielle Gasproduktion Deutschlands begonnen hatte, war ganz bewusst unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit ausgewählt worden. Eines der Argumente war dabei die zentrale Lage des Grundstücks in unmittelbarer Nähe zum Dessauer Hauptbahnhof, die den Mitarbeitern und Besuchern des Neubaus die Möglichkeit zur bequemen Anfahrt mit der Bahn, dem öffentlichen Personennahverkehr oder per Rad ermöglichen sollte. Darüber hinaus boten die aufwändige Sanierung und Umnutzung der mit Altlasten kontaminierten Brachfläche, die im Rahmen des Projekts durch das Berliner Landschaftsplanungsbüro ST raum a. als öffentlicher Park umgestaltet wurde, sowie die Integration der auf dem Areal vorhandenen Bestandsbauten des ehemaligen „Wörlitzer Bahnhofs“ und einer ebenfalls denkmalgeschützten alten Gasfabrik die ideale Voraussetzung, das Ensemble modellhaft in ein ökologisch und denkmalpflegerisch schlüssiges Gesamtkonzept einzubetten.

Markante Form- und Farbgebung

Um den insgesamt rund 68 Millionen teuren Neubau für insgesamt rund 1.000 Mitarbeiter optimal in den heterogenen städtebaulichen Kontext zu integrieren, wurde das UBA durch die Architekten als viergeschossiges Band in Form einer langgezogenen gekrümmten Neun mit einem zentralen glasüberdeckten Innenhof ausgebildet. Zentraler Blickfang sind dabei die als Holzkonstruktion mit Lärchenholzbrüstungen ausgebildeten Fassaden, auf denen eine horizontal gegliederte Kolorierung mit mehr als dreißig unterschiedlichen Farbstufen von Krapprot und Safrangelb über Orange und Kobaltblau bis hin zu Mintgrün oder Zitronengelb ein dynamisches und Identität stiftendes Aufbruchssignal für die gesamte Region schafft. An seiner Südwestseite, wo sich die farbige Gebäudeschleife aus zweibündig angeordneten Büros durch eine großflächige Glasfront zur Stadt hin öffnet, gelangen die Mitarbeiter und Besucher in das Foyer, das so genannte „UBA-Forum“ – eine lichtdurchflutete, von einem filigran gefalteten Sheddach überdeckte Halle, der sich in Richtung Norden ein rund 350 Meter langes, ebenfalls nach oben geöffnetes Atrium anschließt.

Das UBA-Forum führt den außen liegenden Park im Inneren des Gebäudes weiter und fungiert gleichzeitig als zentrale Erschließungsplattform für sämtliche öffentlichen Bereiche des Neubaus – darunter den im Zentrum des Foyers als eingeschossiges Volumen platzierten Hörsaal, die im Bereich des ehemaligen Fabrikgebäudes platzierte größte Umweltbibliothek Europas, ein Umwelt-Informationszentrum sowie verschiedene Ausstellungs- und Seminarräume. Alle übrigen Räumlichkeiten des insgesamt 40.000 Quadratmeter großen Komplexes werden über das an das Forum anschließende, mit Wasserbecken gestaltete Atrium betreten, in dem drei Brückenanlagen mit eingehängten Treppen und Stegen Zugang zu den einzelnen Stockwerken bieten. Komplettiert wird das umfangreiche Raumangebot durch sechs kleinere Sichtbetonkörper in den Randbereichen von Foyer und Atrium, in denen Sondernutzungen wie Empfang oder Druckerei untergebracht wurden. Direkt gegenüber vom Foyer haben die Planer einen großzügig verglasten, als Pavillon konzipierten Neubau mit einer Cafeteria/Kantine in den Park integriert.

Ökologische Materialauswahl

Dem hohen ökologischen Anspruch des Neubaus entsprechend, wurden sämtliche zum Einsatz gekommenen Baustoffe vorrangig im Hinblick auf ihre jeweiligen Ökobilanzen ausgewählt. Neben einem möglichst geringen Schadstoffgehalt und einem schadstoffarmen Herstellungsprozess spielten dabei vor allem die Frage der Haltbarkeit, der Transportwege und die Möglichkeit zur umweltgerechten Entsorgung eine entscheidende Rolle. Für das Haupttragwerk kamen aufbauend auf diesem Anforderungskatalog recycelter Beton, für die Fassadenkonstruktion und -verkleidung schutzmittelfreies Holz zum Einsatz. Als weitere Materialien wurden Lehm sowie Holz und Glas für die Innenwände sowie Naturkautschuk für die Fußböden verwendet.

Nachhaltiges Energiekonzept

Darüber hinaus stand die Integration einer nachhaltigen Gebäudetechnik im Mittelpunkt der Planung. Zentrale Vorgabe waren die deutliche Senkung des Energieverbrauchs sowie der ehrgeizige Anspruch, möglichst ein Fünftel der insgesamt benötigten Energie aus erneuerbaren Quellen zu beziehen. Der Bedarf an Heizwärme sollte dabei auf deutlich unter 40 kWh/m²a begrenzt werden, um so die aktuelle Energiesparverordnung um mehr als dreißig Prozent zu unterschreiten. Zur Umsetzung dieser ehrgeizigen Vorgaben entwickelte das mit der energietechnischen Planung des Neubaus betraute und im Umgang mit Großprojekten vertraute Ingenieurbüro Zibell Willner und Partner ein umfangreiches gebäudetechnisches Konzept, dessen Grundlagen die durch die Architekten entwickelte kompakte Formgebung und die daraus resultierende geringe Außenfläche sowie die Integration hochwärmegedämmter Außenfassaden mit dreifach verglasten Fenster sind, um so die Energieverluste an die Umgebung zu minimieren. Darauf aufbauend wurden zur Untersuchung sämtlicher Parameter bereits in der Planungsphase umfangreiche Analysen und Simulationen zu Luftströmungen, Anlagenbetrieb, Erdreichkonditionen und Tageslicht durchgeführt.

Ein weiteres zentrales Element zur Optimierung der Energiebilanz ist das im Zentrum des Gebäudes integrierte Atrium. Die mit einem Sheddach aus transparentem Weißglas überdeckte Halle ermöglicht nicht nur die passive Nutzung von Solarenergie und schafft auf diese Weise einen hocheffizienten thermischen Wärmepuffer nach innen, sondern bietet zudem eine ausgewogene und Strom sparende Tagesbelichtung für die nach innen gelegenen Büroräume. Zum Schutz gegen sommerliche Überhitzung wurden dabei flexibel steuerbare textile Sonnenschutzsegel in die öffenbaren Dachflächen eingebaut. Als weitere Maßnahme für eine effiziente Senkung des Stromverbrauchs für die künstliche Beleuchtung wurden eine tageslichtabhängige Beleuchtungssteuerung sowie energiesparende Leuchtmittel integriert, so dass der Gesamtverbrauch an Strom in diesem Bereich auf ein Mindestmaß von rund 38 kWh/m2a reduziert werden konnte. Ein Teil dieses Stroms wird durch eine auf dem Sheddach installierte Photovoltaikanlage mit einem Jahresstromertrag von rund 24.000 kW/h bereitgestellt.

Avancierte Gebäudetechnik

Die Grundversorgung des Neubaus mit Heizenergie erfolgt über Fernwärme. Den weiteren Teil steuern ein externes, mit Deponiegas betriebenes Blockheizkraftwerk mit einem Gesamtnutzungsgrad von 87 % (51 % Wärme und 36 % Strom) sowie eine Brennstoffzelle mit Kraft/Wärmekopplung zur Versorgung der Kantine bei. Darüber hinaus integrierten die Planer Vakuumröhrenkollektoren auf den begrünten Dachflächen der Büroschlange, die den thermischen Ertrag der Sonnenenergie an eine Adsorptionskältemaschine weiterleiten. Die hier bereitgestellte Kälte wird für die Umluftkühler in den EDV-Räumen und teilweise auch der Büros genutzt. An rund 100 Tagen im Jahr kann so ein solarer Volllastbetrieb erfolgen, bei dem eine Umwandlung in Kälte bis zu einer Leistung von 80 kW erreicht wird. Von den erforderlichen 200 kW Wärmeleistung werden 160 kW über die Solarthermieanlage bereitgestellt. Bei niedrigen Außentemperaturen muss die restliche Wärmeleistung über die Stadtwerke bezogen werden.

Die durchgehend 12 m2 großen, mit flexiblen Jalousien zu verschattenden Büroräume werden fast durchgehend auf natürliche Weise über das zentrale Atrium klimatisiert (lediglich die in Richtung Westen gelegenen Büros müssen aufgrund der hohen Lärmbelästigung durch die hier angrenzende Bahntrasse und eine Bundesstraße weiter mechanisch be- und entlüftet werden). Zur Verringerung des dazu nötigen Energiebedarfs wird die über vier mächtige Luftbrunnen aus Corten-Stahl angesaugte Außenluft zur effektiven Konditionierung zunächst durch einen der weltweit längsten Erdwärmetauscher mit einem in drei Meter Tiefe platzierten, 4.800 Meter langen Erdregister geführt. Im Sommer strömt die dann über die Rohre im Erdreich vorgekühlte Zuluft über das Atrium einerseits direkt in die Büros auf der Innenseite, und andererseits in die Flure, um von dort durch schallgedämmte Überströmelemente in die außen liegenden Büros zu gelangen. Im Winter wird die durch die Erde vorgewärmte Luft über Wärmetauscher mit einem Wirkungsgrad von 74 % nacherwärmt, bevor sie ins Gebäude einströmt. Die winterliche Wärmeleistung der Erdwärmetauscher beträgt rund 86.000 kWh/a, die sommerliche Kühlungswirkung der Anlage liegt bei rund 125.000 kWh/a.

Die Abluft aus den Büros wird über die Flure bzw. die innen liegenden Fenster in das Atrium geleitet und dort durch den thermischen Auftrieb über Öffnungen im Faltdach abgeführt (im Winter wird eine Abluftanlage zur Wärmerückgewinnung betrieben). In den Sommermonaten erfolgt bei höheren Temperaturen außerdem eine effiziente Nachtauskühlung der massiven Bauteile über zentral zu steuernde großflächige Lüftungsklappen in der Außenfassade, was zu einer weiteren Verbesserung des Raumklimas und Verringerung des Energieverbrauchs führt. Unabhängig davon haben die Mitarbeiter in sämtlichen Büros die Möglichkeit, individuell die Fenster zu öffnen – ein Aspekt, der vor allem aus psychologischen Gründen wichtig ist. Aber auch sonst fallen die Erfahrungen der Mitarbeiter sowie der Besucher rund 12 Monate nach der Fertigstellung durchweg positiv aus. Gut so, denn schließlich soll der Neubau ja Schule machen.

© Text und Foto: Robert Uhde

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