“Spuren im Beton”

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  1. Architekturjournalismus

Museum für Architekturzeichnungen in Berlin

Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg hat der Architekt Sergei Tchoban ein Museum für Architekturzeichnungen geschaffen, in dem unter anderem Arbeiten aus der Sammlung der von ihm gegründeten Tchoban Foundation gezeigt werden. Gestaltgebendes Element des Neubaus sind die übereinander gestapelten, fast fensterlosen Geschossblöcke aus sandsteinfarbenem Beton, in deren Oberfläche Details von Architekturzeichnungen eingearbeitet wurden.

Wer sich heute mit Architekten über das Thema „Entwurfsplanung“ unterhält, der landet schnell bei neuen CAD-Programmen oder beim Building Information Modeling (BIM), mit dessen Hilfe sämtliche Prozessbeteiligten vom ersten Vorentwurf bis zur Fertigstellung an einem gemeinsamen virtuellen 3D-Modell arbeiten. Das Zeichnen mit der Hand, das Jahrhunderte lang die Praxis des Entwerfens geprägt hat, erscheint da fast wie aus einer vergangenen Welt.

Umso bemerkenswerter, dass im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg vor kurzem das bundesweit einzige Museum für Architekturzeichnungen eröffnet wurde. Sein Architekt Sergei Tchoban, Partner im Berliner Büro nps tchoban voss und im Moskauer Büro Speech Tchoban & Kuznetsov, ist selbst leidenschaftlicher Zeichner und Sammler historischer Architekturzeichnungen; sein Bestand umfasst bedeutende Arbeiten vom 16. bis zum 21. Jahrhundert. Ein Schwerpunkt sind dabei Zeichnungen russischer Konstruktivisten aus den 1920er-Jahren. 2009 hatte der in St. Petersburg geborene Architekt deshalb die Tchoban Foundation ins Leben gerufen, um den Architektennachwuchs in der klassischen Ausbildung des Zeichnens zu fördern und ihm dazu seine umfangreiche Sammlung zum Studium zur Verfügung zu stellen. Der nun für die Sammlung geschaffene Museumsneubau ist also von seinem Gründer nicht nur initiiert, sondern auch entworfen und gebaut worden.

Übereinander gestapelte Betonblöcke

Die Entwurfsplanung des fünfgeschossigen Neubaus stammt von Sergei Tchoban und seinem Moskauer Büropartner Sergey Kuznetsov, die Ausführungsplanung erfolgte durch Tchobans Berliner Büro nps tchoban voss. Als Standort war dabei ein Grundstück am Rand des Pfefferberg-Areals ausgewählt worden. Das ehemalige Brauereigelände zwischen Schönhauser Allee und Teutoburger Platz hat sich in den vergangenen Jahren zu einem beliebten Szene-Treffpunkt entwickelt, an dem sich inzwischen unter anderem auch das renommierte Architekturforum Aedes niedergelassen hat. Unmittelbar angrenzend an die alten Industrie-Klinkerbauten bildet das kleine Museum einen markanten Übergang zur westlich angrenzenden Christinenstraße und schafft dort den Abschluss einer gründerzeitlichen Blockrandbebauung.

Je nach Perspektive ergeben sich dabei völlig unterschiedliche Ansichten: Von Westen her kommend fügt sich der in Massivbauweise mit tragenden Fassaden und eingehängten Decken errichtete Bau zurückhaltend und beinahe selbstverständlich in die vorhandene Altbauzeile ein. In Richtung Norden oder Osten erscheint er dagegen als mächtige Skulptur aus fünf scheinbar lose übereinander gestapelten Geschossblöcken: „Einige der in Massivbauweise errichteten Geschossquader kragen dabei in verschiedenen Tiefen und Winkeln je Geschoss unterschiedlich aus dem Wandverband aus und sollen so Assoziationen an gegeneinander verschobene Schubladen wecken, in denen die Zeichnungen aufbewahrt werden“, beschreibt Architekt Sergei Tchoban das Konzept.

Sprechender Beton

Die massive monolithische Hülle des Neubaus wurde in Ortbetonbauweise aus 27 Zentimeter dickem wasserundurchlässigem Beton errichtet, der durch Zugabe von Pigmenten einen sandsteinfarbenen Ton erhalten hat. Die mit Gussglas verglasten zackenförmigen Öffnungen in der Fassade lassen gleichzeitig ausreichend Licht wie durch Kirchenfenster in den Innenraum fließen. Hinter dem Beton sitzt eine 10 Zentimeter dicke Schaumglasdämmung als Wärmeschutz, nach innen werden die Wände durch verputztes, 11,5 Zentimeter dickes Kalksandsteinmauerwerk abgeschlossen.

Ihren Reiz erhält die Fassade durch die filigranen Reliefzeichnungen auf der Oberfläche des Betons. Die archaisch anmutende Struktur zeigt stark vergrößerte Fragmente aus Zeichnungen der Sammlung und verweist so im Zusammenspiel mit der Farbgebung des Betons „ganz subtil auf die Funktion des Gebäudes und auf das vergilbte Trägermaterial von Architekturzeichnungen“, wie Sergei Tchoban erklärt. So ganz nebenbei schaffen die Strukturen außerdem einen interessanten Bezug zum Standort Berlin, indem sie den zahllosen mit Graffiti überzogenen Hauswänden der Hauptstadt eine gänzlich andere Form von Fassadenzeichnung entgegensetzen.

Um die Fassade zu realisieren, wurden zunächst ausgewählte Architekturzeichnungen aus der Sammlung digitalisiert und dann mit einer CNC-Fräse als 1:1-Modell auf Platten übertragen, von denen Negativformen in Flüssigkunststoff gegossen wurden. Auf der Baustelle wurden diese Matrizen an der vorgesehenen Position auf der Systemschalung montiert. „Nach Einbringen der Bewehrung, Gießen und Abbinden des Betons in der Schalung, konnten die Formen dann abschließend wieder demontiert werden“, so Sergei Tchoban. Ganz bewusst wurde dabei für jedes Geschoss jeweils eine Sequenz des gleichen Motivs ausgewählt, um das Fassadenbild nicht zu unruhig werden zu lassen.

Hermetischer Innenraum

Den gleichen Blick fürs Detail zeigen auch die Innenräume des Museums. Über die Eingangsnische mit kannelierter Holztür gelangen die Besucher zunächst in den Empfangsraum, in dem neben Garderobe und Museumsshop auch eine kleine Präsenzbibliothek untergebracht ist. Das Relief der Außenhaut wird dabei an den Wandverkleidungen aus Nussbaumholz fortgeführt. Über ein kleines Treppenhaus mit Treppenläufen aus schwarz durchgefärbten Betonfertigteilen erreichen die Besucher anschließend die beiden Ausstellungskabinette im ersten und zweiten Obergeschoss, die über eine spezielle Beleuchtung und eine entsprechende Haustechnik optimale Bedingungen zur Präsentation der empfindlichen Zeichnungen bieten.

In der darüber liegenden Ebene ist ein Schauarchiv als separate Raumeinheit untergebracht. Komplettiert wird der Museumsneubau durch ein zurückliegendes, nach Nordosten weit auskragendes Staffelgeschoss, das den Kuratoren der Sammlung als luftiger Besprechungs- und Arbeitsraum dient und mit seinen großflächigen, schmal profilierten Glasfassaden einen gelungenen Kontrast zur Geschlossenheit des sonstigen Baukörpers schafft. Als besondere Attraktion haben die Planer außerdem zwei Dachterrassen angelegt, die den Mitarbeitern eine schöne Aussicht über den Teutoburger Platz und die angrenzende Bebauung bieten.

© Text: Robert Uhde

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