“Kathedrale für die Medien”

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  1. Architekturjournalismus

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Niederländisches Institut für Bild und Ton in Hilversum

In der niederländischen Medienstadt Hilversum unweit von Amsterdam wurde vor kurzem das „Niederländische Institut für Bild und Ton“ eröffnet. Der am Rand des „Mediaparks“ platzierte Neubau des Rotterdamer Architekturbüros Neutelings Riedijk integriert auf sieben oberirdischen und fünf unterirdischen Geschossen drei räumlich voneinander getrennte Funktionen: Im Untergrund wurde ein umfassendes Archiv der niederländischen Radio- und Fernsehgeschichte untergebracht, oberirdisch liegen ein aufwändig gestalteter Ausstellungsbereich sowie ein Verwaltungstrakt.

Markanter Blickfang des kraftvoll komponierten quaderförmigen Volumens sind die gemeinsam mit dem Künstler Jaap Drupsteen gestalteten farbigen Glasfassaden. Auf den einzelnen Glasreliefplatten wurden als sinnfälliges Zeichen für die Funktion des Gebäudes bewegende Momente der niederländischen Fernsehgeschichte wie auf einer flimmernden Mattscheibe eingebrannt. Beim Näherkommen lassen sich aus dem zunächst abstrakt scheinenden Farbrauschen schließlich unterschiedliche verwischte Szenen ablesen – von politischen Ereignissen über königliche Hochzeiten bis hin zu sportlichen Triumphen.

Medienstandort Hilversum

Das Gesicht der inmitten eines ausgedehnten Waldgebiets gelegenen Stadt Hilversum wird bis heute vor allem durch die Architektur von Willem Marinus Dudok geprägt: Nachdem sich Hilversum in den 1920er-Jahren schnell als neue Medienstadt des Landes etabliert hatte, gab der Altmeister der Niederländischen Moderne der expandierenden Stadt in wenigen Jahren ein weltoffenes Gesicht mit ganzen Straßenzügen aus modern formulierten hellen Klinkerbauten. Entsprechend schwer hat es hier jegliche neuere Architektur. Eines der wenigen „Refugien“ ist der nördlich vom Bahnhof gelegene Mediapark, der nach dem Zweiten Weltkrieg als neues mediales Herz der Stadt erschlossen wurde. In den folgenden Jahrzehnten siedelten sich hier nach und nach sämtliche der zuvor über die ganze Stadt verteilten Rundfunkanstalten ihre Gebäude an. Architektonischer Höhepunkt war dabei der vielbeachtete Neubau für den Radiosender VPRO, den die Rotterdamer Architekten MVRDV hier 1997 als fließend übereinander geschichtete Bürolandschaft gestalteten.

Sakraler Innenraum

In direkter Nachbarschaft zum VPRO-Gebäude trifft der Blick jetzt auf das neue Institut für Bild und Ton mit seiner farbenfroh verspielten Hülle aus bunten Glasreliefplatten. Durch den leicht zurückliegend gestalteten Haupteingang auf der Nordseite hindurch im Innenraum des Neubaus angelangt, tauchen die Besucher ein in eine 26 Meter hohe und 50 Meter tiefe Halle, die durch die Architekten als verwirrendes dreidimensionales Puzzle gestaltet wurde. Zentrales Element innerhalb des Raumes ist die nach oben hin terrassenförmig sich verjüngende, mit perforierten Aluminium-Elementen verkleidete Front des als eigenständiges Volumen eingestellten Ausstellungsbereiches. Im südlichen und nördlichen Teil der Halle schließen sich die farbig-transparenten Außenfassaden an, die in der riesigen lichtdurchfluteten Halle umgehend die Assoziation an leuchtende gotische Kirchenfenster hervorrufen und dem Raum so die Aura einer modernen Kathedrale verleihen. Betont wird der sakrale Charakter des Raumes durch das schmale Oberlicht in der Decke sowie die Verwendung von graugrünem chinesischen Schiefer für den Boden.

Unterirdischer Bereich

Wenige Schritte weiter überqueren die Besucher eine frei schwebende Brücke. Links und rechts des Stegs stürzt der Blick hinunter in eine 16 Meter tiefe Schlucht – eine Art „Canyon“ mit weiteren frei tragenden Brücken, wie die Architekten den terrassenförmig absteigenden Magazinbereich beschreiben. Hier in den Untergeschossen des Neubaus werden insgesamt rund 700.000 Stunden an Filmen sowie TV-und Radio-Mitschnitten konserviert und archiviert. Die Seitenwände des „Canyons“ wurden mit schmalen Streifen des gleichen chinesischen Schiefers ausgebildet, der auch für den Hallenboden verwendet wurde. Die 50 mm breiten Riemchen variieren in ihrer Länge zwischen 400 und 600 mm und wurden im wilden Verband geleimt, um so den rohen Charakter des Materials zu betonen.

Ein weiteres markantes Detail innerhalb des architektonischen Canyons sind die quadratischen Wandöffnungen, die den Blick der Besucher auf die orangefarben gestalteten Flure in den Magazinen freigeben. Im klaren Kontrast zur luftigen, scheinbar schwebenden oberirdischen Halle entsteht so schnell das Bild einer von Fackeln beleuchteten Unterwelt. Die ältesten Bestände des Instituts befinden sich dabei auf der untersten Ebene – also quasi in den tiefsten „Gesteinsschichten“ des Gebäudes.

Das gesamte Gebäude ruht in einer 60 x 60 Meter großen, 16 Meter tief im Erdreich liegenden Wanne mit 1000 mm starken Wänden aus Stahlbeton. Diese unterirdische Ausrichtung des Gebäudes war ursprünglich eine Notlösung aufgrund der strengen Bauauflagen, die auf dem Grundstück lediglich eine Höhe von 26 Metern zuließen. Zum Glück, wie sich im weiteren Projektverlauf zeigen sollte: Denn die Anordnung der Magazine überzeugt nicht nur gestalterisch, sondern bietet auch deutliche Vorteile hinsichtlich der Archivierung und Klimatisierung der aufbewahrten Ton- und Bilddokumente, die hier optimal vor Überhitzung geschützt sind.

Museum und Büros

Die anderen beiden Funktionen des Neubaus, die Büros und der Publikumsbereich, wurden wie das unterirdische Magazin als eigenständige Baukörper innerhalb des Gebäudes ausgebildet. Der quaderförmig auf der Westseite vom Keller bis unter das Dach eingestellte Block nimmt dabei sämtliche Büros für die rund 200 Mitarbeiter des Instituts auf. Vis-à-vis liegt der öffentlich zugängliche Museumsbereich mit seinen vier terrassenförmig übereinander geschichteten Geschossen. Über einer Ebene mit zwei Film- und Vortragsräumen sowie einem großen Saal für Wechselausstellungen liegt dort die als eigenständige Blackbox ausgebildete „Media Experience“. Auf einer Gesamtfläche von 3000 Quadratmeter finden die Besucher hier 15 verschiedene Themenpavillons vor, die sie auf mediale Weise in die Welt des Fernsehens eintauchen lassen. Komplettiert wird das Raumangebot durch ein direkt vor der Südfassade gelegenes Restaurant mit abgetreppt übereinander platzierten Sitzebenen, von wo aus sich eine schöne Aussicht auf ein im Außenbereich angrenzendes Wasserbecken bietet.

Brandschutz und Entrauchung

Zur Sicherheit der Besucher und der eingelagerten Dokumente verfügt der Neubau über umfangreiche Brandschutzvorrichtungen. Im Rauchfall öffnen sich automatisch die 39 Fenster im Oberlicht der Halle und es werden die auf Höhe des Magazins integrierten Ventilatoren in Gang gesetzt. Auf diese Weise können rund 700.000 Kubikmeter Luft je Stunde ausgetauscht werden, was den Besuchern ausreichend Zeit lässt, das Gebäude zu verlassen. Die dazu nötige Frischluft wird an der Außenseite des Gebäudes im Zwischenraum zur Wanne aus Stahlbeton eingeführt. Als weitere Maßnahmen zum Brandschutz sorgt ein Überdruck in den Nottreppenhäusern für sichere Fluchtwege. Darüber hinaus wurden in sämtlichen Bereichen des Magazins und der Ausstellungsräume Sprinkler integriert, die durch das 300 Kubikmeter fassende Wasserbecken im Außenbereich versorgt werden.

Bildhauerische Qualität

Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk gehören zu den schillerndsten Vertretern der niederländischen Architekturszene. Zu den durchgehenden Kennzeichen ihrer Bauten gehören die plastische, fast bildhauerische Qualität ihrer Arbeiten sowie die häufig sehr bildhafte Gestaltung der Fassade. Ihr jüngstes großes Projekt war die 16 Stockwerke hohe, von einem weit auskragenden Auditorium mit Panoramafenster gekrönte Hochschule für Schifffahrt in Rotterdam. Bei ihrer Druckerei in Ede gestalteten sie eine transparente Fassade, auf der die Buchstaben eines Gedichts zu sehen sind. Und bei ihrem „Minnaert-Gebäude“ deutet ein Relief aus knorrigen Wurzeln auf braunrotem Spritzbeton die Funktion als Fakultät für Geologie an.

Ähnlich bildhaft präsentiert sich jetzt auch die Fassade des Neubaus in Hilversum. Für die Gestaltung der dazu verwendeten insgesamt 2244 Platten hat der Videokünstler Jaap Drupsteen insgesamt 768 Archivbilder aus der niederländischen Fernsehgeschichte ausgewählt, digital verfremdet und dann mit Hilfe von Farbpulver auf die Glasscheiben aufgedruckt. Anschließend wurden die einzelnen Platten in einem Sandbett mit digital vorbereiteten Matrizen bei 800° Celsius erneut gebrannt, um so die dreidimensionalen Glasreliefs zu erhalten. In mehreren Schritten entstand so ein buntes Kaleidoskop der Niederlande. Von Prinzessin Maxima über Johan Cruyff bis hin zu Pim Fortuyn.

© Text und Foto: Robert Uhde

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