“Verzinkt”

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  1. Architekturjournalismus

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Wohngebäude von De Architekten Cie. in Amsterdam

Die Umnutzung des östlichen Amsterdamer Hafengebietes in ein zentrales Wohnquartier schreitet unaufhaltsam ihrer Fertigstellung entgegen: Auf den ehemaligen Docks Entrepot-West, KNSM-Eiland, Java-Eiland sowie Borneo und Sporenburg sind seit Anfang der 90er Jahre rund 6.000 Häuser und Wohnungen entstanden, in denen inzwischen etwa 16.000 Menschen leben. Baukräne stehen lediglich noch auf den beiden zuletzt angegangenen Halbinseln Borneo und Sporenburg, die nach einem städtebaulichen Konzept des Rotterdamer Planungsbüros West 8 unter Leitung von Adriaan Geuze durch ein schier endloses Meer von hochverdichteten Reihenhäusern geflutet wurden.

Um den strengen Rhythmus und die spürbare Dichte der kleinteiligen Bebauung aufzulockern – und um die verlangte Dichte von 100 Wohneinheiten je Hektar zu erreichen –, hat Adriaan Geuze drei architektonische „Landmarken“ mit jeweils rund 200 Wohnungen in seinen Einfamilienhaus-Teppich integriert: einen 1998 fertiggestellten Superblock von Koen van Velsen, einen noch zu bauenden Meteoriten von Kees Christiaanse und das vor wenigen Monaten vorgestellte, durch das Amsterdamer Architekturbüro de Architekten Cie. geplante Großprojekt „The Whale“: Der bis zu zehngeschossige, auf einer Grundfläche von 50 x 100 Metern errichtete Wohnblock stellt hinter seiner silbern schimmernden Zinkfassade 214 größtenteils staatlich geförderte Appartements, eine Tiefgarage mit 179 PkW-Stellplätzen und rund 900 m2 an Laden- und Büroflächen im vollkommen verglasten Erdgeschoss bereit. Im Innenhof des Gebäudes steht den Bewohnern zudem ein frei zugänglicher, durch die Planer von West 8 gestalteter Stadtgarten zur Verfügung.

Größer hätte der Kontrast hinsichtlich Form, Materialisierung und Wohnungstypologie kaum ausfallen können: Mit seiner maximalen Höhe von 34 Metern ragt der Koloss laut und unübersehbar aus dem flachen, dreigeschossigen Backstein-Häusermeer hervor und bietet damit eine angemessene Antwort auf den riesigen Maßstab des gesamten Quartiers. Für Aufsehen sorgen jedoch nicht allein die Größe und die exzentrisch schillernde, aus insgesamt 27.000 jeweils 50 x 50 cm großen Zinkplatten zusammen gesetzte Außenfassade, sondern auch die bizarre, fast skulpturale Gebäudeform, die in krassem Gegensatz zum strengen Rhythmus der Fensterreihen steht: Die unregelmäßig geknickten Dachlinien des Blocks folgen der Aufständerung von zwei sich gegenüber liegenden Gebäude-Ecken. Projektarchitekt Frits van Dongen ist auf diese Weise nicht nur ein interessanter städtebaulicher Bezug zur Silhouette des auf dem benachbarten KNSM-Eiland errichteten „Piräusgebäudes“ von Hans Kollhoff und Christian Rapp (1989-93), sondern auch eine dynamische Korrespondenz mit dem Stand der Sonne gelungen: Nach Osten und Westen hin, wo die Sonne tiefer steht, ist das Gebäude deutlich flacher gehalten als dort, wo die Sonne am höchsten steht.

Auf den ersten Blick wirkt die so entwickelte Gebäudeform etwas arbiträr. Bei näherem Hinsehen erweist sie sich jedoch als Voraussetzung für eine schlüssige Neuinterpretation des geschlossenen Wohnblocks. In zahllosen Studien hat Frits van Dongen nach einer Lösung gesucht, um Tageslichteinfall, Raumprogramm, Größe, Erschließung und städtebaulichen Kontext in eine optimale Form zu bringen. Die Aufständerung und die sich daraus ergebende Silhouette sorgt nicht nur für mehr Tageslicht in den zum Innenhof hin gerichteten Räumen, sondern klärt auch die Erschließung: Die beiden aufgeständerten Ecken – eine verspielte Weiterentwicklung der Pilotis von Le Corbusiers Unité d’habitation – nehmen nicht nur ein gläsernes Treppenhaus mit Lift auf, sondern schaffen auch Raum für zwei großzügige und luftige Unterführungen in den mit Gingko-Bäumen und Zinkplatten gestalteten Stadtpark.

Ähnlich reizvoll wie die Gestaltung des Innenhofes erweist sich auch der Zugang zu den einzelnen Wohnungen: Lift und Treppenhaus führen die Bewohner in ein komplexes System von innenseitig gelegenen und mit Lärchenholz verkleideten Galerien, die jeweils zwei Ebenen erschließen. Dabei ist den Architekten ein spannender Kontrast zwischen den kühl schillernden Reflexionen der Zinkfassade und dem warmen Grundton der hölzernen Galerien gelungen, der durch diagonal angeordnete, stählerne Brandtreppen und eine gelbe nächtliche Beleuchtung zusätzliche Dynamik erhält.

Die Wohnungen selbst zeigen sich aus Kostengründen größtenteils eher konventionell: In den unteren Geschossen haben die Architekten 150 eng aneinander geschachtelte und sich über die gesamte Tiefe des Baus erstreckende Drei- oder Vier-Zimmer-Sozial-Wohnungen zum Preis von umgerechnet rund 700 DM (für 75 m2 Wohnfläche), beziehungsweise 900 DM (für 95 m2 Wohnfläche) pro Monat vorgesehen. Alle diese Wohnungen bestehen aus einem breiteren Wohn- und einem schmaleren Service-Streifen mit WC, Bad und Waschküche und besitzen eine Loggia gegen Süden. Ganz anders der Eindruck in den 64 finanziell nicht geförderten und in einem Fall bis zu 194 m2 großen Appartements in den Dachgeschossen sowie in den Ecken des Gebäudes: Hier haben die Architekten mit der Deckengeometrie und -höhe gespielt und Wohnungen mit großzügigen Raumhöhen oder elegante Maisonette-Wohnungen mit prächtigem Ausblick über das Häusermeer des ehemaligen Hafengebietes und bis in die Amsterdamer Innenstadt gestaltet.

Mit „The Whale“ hat Frits van Dongen erneut bewiesen, dass Großblöcke nach den negativen Erfahrungen der 60er Jahre heute wieder „baubar“ sind. Trotz seiner Größe erscheint der Bau nicht als trostlose Wohnkaserne, sondern überzeugt durch seinen erfahrbaren, menschlichen Maßstab. Ein ähnliches Exempel war dem Architekten bereits 1996 mit dem Gebäude „De Landtong“ auf dem Rotterdamer Kop van Zuid gelungen: Der neben dem erwähnten Piräusgebäude wohl gelungenste niederländische Großblock der vergangenen Jahre bietet insgesamt 623 Wohneinheiten, die durch Van Dongen auf verschiedene, unterschiedlich ausgebildete und teilweise terrassierte Wohnblöcke aufgeteilt und damit in lesbare Einheiten gegliedert wurden. „The Whale“ spiegelt demgegenüber eher den experimentellen Charakter von Borneo-Sporenburg wider und zeigt dementsprechend eine spielerische, fast ironische Lust im Erfinden von gebauter Umwelt. Nicht mitspielen wollte der Architekt freilich das sonst so ausgiebig exerzierte und nicht nur für Architekten wenig erfreuliche Verschandeln von Gebäudefassaden mit Satellitenschüsseln. Um „The Whale“ möglichst ungeschoren davon kommen zu lassen, hat er im Innenhof des Gebäudes vier zentrale Satellitenschüsseln platziert. Eine erfolgreiche Offensive gegen Wildwuchs!

© Text + Foto: Robert Uhde

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