“Zwischen den Welten”

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  1. Architekturjournalismus

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Moschee von Marlies Rohmer in Amsterdam

Im Amsterdamer Stadtteil Transvaal ist vor kurzem ein multikulturelles Zentrum mit einer Doppelmoschee eröffnet worden. Der abwechslungsreich detaillierte Backsteinbau der vor Ort ansässigen Architektin Marlies Rohmer schafft eine gelungene Verbindung aus klassischer Moderne und islamischer Ornamentik.

Der im Südosten von Amsterdam gelegene Stadtteil Transvaal zählt architektonisch und städtebaulich zu den interessantesten Vierteln der niederländischen Hauptstadt. Das hoch verdichtete Quartier wurde seit den 1920er-Jahren nach städtebaulichen Plänen von Hendrik Pieter Berlage angelegt, dem Altmeister und Mitbegründer der niederländischen Moderne. Mit seinen plastisch-skulptural gestalteten Backsteinbauten bietet es ein Musterbeispiel der so genannten „Amsterdamse School“, die zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts das Gesicht der Grachtenstadt entscheidend geprägt hat. Lange Zeit wurde das Viertel überwiegend durch Angehörige der niederländischen Mittelschicht bewohnt. Doch nachdem es die ursprünglichen Mieter seit den 1970er-Jahren immer stärker in moderne Wohnviertel an den Stadtrand drängte, hat sich die Bevölkerungsstruktur deutlich verändert: Von den rund 10.000 Bewohnern des Quartiers haben heute mehr als 50 Prozent einen „nicht-westlichen Migrationshintergrund“ – die meisten von ihnen stammen aus Marokko oder aus der Türkei.

Multifunktionale Nutzung

Verschärft durch fehlende Freiflächen und einen dringend sanierungsbedürftigen Gebäudebestand mit häufig zu kleinen Wohnungen hat sich Transvaal seitdem immer mehr zu einem Problemviertel entwickelt. Bereits seit den 1980er-Jahren wurden daher unterschiedlichste Maßnahmen beschlossen, um die Lebensqualität und die Integration vor Ort zu verbessern. Einen wichtigen Beitrag dazu liefert inzwischen das vor wenigen Monaten neu eröffnete Multikulturelle Zentrum in der Joubertstraat. Der flexibel nutzbare Neubau der vor Ort ansässigen Architektin Marlies Rohmer beherbergt auf einer Nutzfläche von rund 1.600 Quadratmetern Büroflächen, Lehrräume und drei unterschiedlich große Gebetsräume für die marokkanisch-islamische sowie für die türkisch-islamische Gemeinde des Viertels. Entsprechend der Auflagen des Fonds für Regionale Entwicklung (D2-Programm) der EU, durch den das Projekt zu rund dreißig Prozent finanziert wurde, integriert der Neubau außerdem ein städtisches Fortbildungs-, Beratungs- und Sozialzentrum.

Ähnlich integrativ wie das Nutzungskonzept präsentiert sich auch die Architektur des Neubaus. Die Errichtung eines Moscheebaus mit Kuppel und Minarett, wie er gegenwärtig so heftig diskutiert wird, spielte dabei von Anfang an keine Rolle. Stattdessen entwickelte Marlies Rohmer einen viergeschossigen, als Stahlträgerkonstruktion errichteten Flachdachbau mit einer lang gestreckten, an der Traufhöhe der angrenzenden Bauten orientierten Schaufassade aus roten Klinkern. Die frei von tragenden Funktionen errichtete, im zweiten Obergeschoss durch ein rund 20 Meter breites Panoramafenster geöffnete Backsteinhülle fügt den Neubau auf den ersten Blick scheinbar nahtlos in die umgebende Bebauung ein. Aus der Nähe betrachtet zeigt sich jedoch, dass die Planerin neben Mauerwerkstechniken und stilistischen Details aus dem Repertoire der Amsterdamse School auch islamisch anmutende Elemente in die Fassade integriert hat. Das materialbetonte Zusammenspiel der unterschiedlichen Einflüsse schafft eine reizvolle Synthese, die sinnfällig die multikulturelle Nutzung des Gebäudes thematisiert.

Hybride Baukultur

Die Entstehungsgeschichte der Doppelmoschee geht zurück auf einen Beschluss des Stadtteilrates aus dem Jahr 2000. Damals war das Projekt noch als Umbau einer vormals auf dem Grundstück stehenden Schule geplant. Nach eingehender Analyse der vorhandenen Bausubstanz wurde jedoch schon frühzeitig entschieden, den Altbau abzubrechen und durch einen Neubau zu ersetzen. Ende 2005 konnte dann endlich ein Architekturwettbewerb durchgeführt werden, den schließlich Marlies Rohmer gewann: „Es ist schon ziemlich ungewöhnlich, Türken, Marokkaner und Niederländer an einem gemeinsamen Ort unter einem Dach zusammenzubringen“, beschreibt die Architektin den Ausgangspunkt ihrer Planung. „Wir haben das Projekt daher als ‚Fusion’ betrachtet, als Zeichen einer ‚hybriden Baukultur’, die nach Synergien und nach einer neuen Ikonographie sucht, die das Gemeinsame und Verbindende betont, ohne dabei die eigene Identität der unterschiedlichen Parteien außer Acht zu lassen.“

Ein wichtiges Resultat dieser angestrebten „Fusion“ ist die Gestaltung der Erschließungssituation im Gebäude: Zwar haben die Gebetsräume der marokkanischen und türkischen Gemeinde jeweils einen eigenen Zugang erhalten, beide werden aber einem deutlich größeren, von beiden Gemeinden genutzten Haupteingang untergeordnet, der als doppelgeschossige Glasfuge mittig in die Klinkerfassade geschnitten wurde. Weiteren Raum zur wechselseitigen Begegnung der unterschiedlichen Nutzer bieten die Eingangshalle, das gemeinsam genutzte Treppenhaus, die große Freifläche im Innenhof sowie der im zweiten Obergeschoss gelegene Kursraum, der durch das breite Panoramafenster hindurch einen schönen Ausblick auf den gegenüber liegenden Sportplatz bietet.

Architektonisch aber geht mit dem Betreten des Innenbereiches ein auffälliger stilistischer Bruch einher. Entsprechend der gestalterischen Wünsche der beiden Gemeinden trifft der Blick einigermaßen überrascht auf eine wuchtige Treppenverkleidung aus Holz sowie auf Bodenfliesen und gestalterisch durch arabische Schriftzeichen inspirierte Wanddekore in den Farben blau und weiß. Linkerhand vom Eingangsflur schließt sich der Gebetsraum für die männlichen Mitglieder der türkischen Gemeinde an, rechterhand liegt der Gebetsraum für die männlichen Mitglieder der marokkanischen Gemeinde. Beide Räume wurden jeweils doppelgeschossig, vielfach in Eigenleistung mit reich verzierten Wänden und Böden in arabischer Ornamentik gestaltet. In den darüber liegenden Ebenen schließen sich ein kleinerer Gebetsraum für die Frauen sowie die verschiedenen Büros und Lehrräume an.

Filigrane Detaillierung

Da die Gestaltung des Innenbereiches hauptsächlich in der Verantwortung der beiden Gemeinden lag, stand für die Architekten insbesondere die Detaillierung der Schaufassade im Mittelpunkt. „Um die angestrebt ‚hybride Verschmelzung’ der unterschiedlichen Kulturen zu erreichen, haben wir ganz gezielt nach einer Möglichkeit gesucht, arabische Stilelemente mit der vor Ort verwurzelten Architektur der Amsterdamse School zu verbinden“, so Marlies Rohmer. „Und so weit beide Stile zunächst voneinander entfernt zu sein schienen, so ergaben sich bei näherer Betrachtung doch einige Gemeinsamkeiten – vor allem, was die Plastizität und die Ornamentik betrifft.“ Als Ergebnis entstand eine rhythmisch abwechslungsreiche, durch unterschiedlich große Fenster geöffnete Kollage aus unterschiedlichen Mauerwerksverbänden, die ebenso gut als Synthese unterschiedlicher Kulturen wie als spielerische Erweiterung des strengen Formenkanons der Niederländischen Moderne lesbar ist.

Aus der Distanz betrachtet wirkt die Fassade aufgrund ihrer homogenen, auf den Ort bezogenen Materialität zunächst eher unauffällig und zurückhaltend, wie eine zweidimensionale „Backsteintapete“. Beim Näherkommen wandelt sich der Eindruck. Die Front erscheint zunehmend vielschichtiger, filigraner und verspielter, ohne dabei aber ihre klare Struktur zu verlieren und überladen oder gar chaotisch zu wirken. Mehr und mehr werden unterschiedlichste gestalterische Details sichtbar, so etwa der durchgehende Sockelbereich aus blutrot-glasierten Steinen, die in vier Reihen vertikal übereinander im Parallelverband gemauert wurden. Die beiden außen liegenden Bereiche der Fassade wurden demgegenüber als geometrisches Backsteinrelief mit quadratischen Feldern aus teils vertikal, teils horizontal gemauerten Steinen gestaltet, die sich in bewegtem Rhythmus jeweils um ein kleines quadratisches Fenster im Zentrum des Feldes anordnen. Zusätzliche Dynamik erhalten die an sakrale Rosetten erinnernden und handwerklich hochwertig ausgeführten Felder durch die Ausstrahlung des durchgängig verwendeten, mit tief zurückliegenden dunklen Fugen gemauerten dänischen Handform-Verblenders in unterschiedlichen Formaten. Die vielfältigen Farbnuancen des Steins von hellgelb über orange und dunkelrot bis hin zu grau und schwarz lassen dabei in ihrer vibrierenden Wirkung auf den ersten Blick an farbige arabische Mosaiken denken.

Eine ähnliche Anmutung zeigt die Fassade im Bereich des dritten Obergeschosses, allerdings wurden hier etwas größere Fenster integriert. Im zweiten Obergeschoss schafft das große, aus fünf Elementen zusammengesetzte Panoramafenster einen markanten Materialkontrast zur übrigen Fassade, im Bereich des Haupteingangs wurde die Front dagegen als halbtransparente Hülle mit regelmäßigen Aussparungen gestaltet, um den Neubau so zur Stadt zu öffnen und den offenen Charakter des Hauses zu betonen. Besonders reizvolle Perspektiven ergeben sich dabei während der Dunkelheit, wenn der halbdurchlässige Vorhang Einblicke in die dahinter liegenden Büros und Gebetsräume ermöglicht, ohne dabei aber sofort preiszugeben, was sich dort abspielt. Als gelungene architektonische Metapher für eine selbstbewusste Religion und Kultur, die sich öffnet, ohne sich dabei zu verleugnen.

© Text: Robert Uhde

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