“Rostrote Energie-Zentrale”

Created for industrieBAU in 2007

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  1. Architekturjournalismus

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Blockheizkraftwerk in Utrecht

Auf dem Utrechter Universitätscampus “De Uithof'” wurde vor kurzem ein neues Blockheizkraftwerk in Betrieb genommen. Markanter Blickfang des skulpturalen Neubaus vom Atelier Zeinstra Van der Pol aus Amsterdam ist die komplett geschlossene, frei tragende Außenhülle aus wetterfestem Corten-Stahl. Die fast schon archaisch anmutende Konstruktion sorgt für den nötigen Lärmschutz und integriert die Anlage in die umgebende Landschaft.

Mit rund 25.000 Studenten ist die 1636 gegründete Universität Utrecht die größte und nach Leiden die zweitälteste Universität der Niederlande. Ursprünglich waren die Lehrgebäude ausschließlich im historischen Zentrum der Stadt angesiedelt. Gegen Ende der 1960er-Jahre wurde der größte Teil der Institute jedoch aufgrund stetig steigender Studentenzahlen auf den rund fünf Kilometer weiter außerhalb neu errichteten Campus “De Uithof” ausgelagert. Inzwischen wurde das dort in wenigen Jahren aus dem Boden gestampfte Areal nach einem 1989 vorgestellten Masterplan von Rem Koolhaas sukzessive nachverdichtet und zu einer “Stadt in der Stadt” umstrukturiert. Ganz allmählich entstand so ein regelrechtes Architektur-Laboratorium mit zahlreichen herausragenden Projekten – unter anderem von Mecanoo, Neutelings Riedijk, Ben van Berkel, Wiel Arets sowie Rem Koolhaas selbst.

Ein weiterer Blickpunkt auf dem weitläufigen Campus ist das durch die Amsterdamer Architektin Liesbeth van der Pol geplante neue Blockheizkraftwerk der Universität. Der aufgrund der vorherrschenden Westwinde bewusst am äußersten südöstlichen Rand von De Uithof platzierte und dort direkt neben der bestehenden Energiezentrale errichtete Bau versorgt sämtliche Gebäude vor Ort mit Strom und Wärme. Mit seinen insgesamt 26 Meter hoch aufragenden Schornsteinen und der Außenhülle aus rostrotem Corten-Stahl schafft er dabei ein markantes architektonisches Zeichen im Übergangsbereich zwischen Stadt und Landschaft: Nördlich angrenzend liegen die Gebäude des Instituts für Tiermedizin, weiter südlich löst sich der Campus allmählich im Weideland auf.

Autonome Energieversorgung

Ausgangspunkt der Planung war der zunehmende Energiebedarf der Universität aufgrund der nach wie vor steigenden Studentenzahlen. Da die lediglich 3,75 Megawatt leistende alte Energiezentrale schon seit langem nicht mehr ausreichte, um eine autonome Energieversorgung der Universität zu ermöglichen – um sämtliche Gebäude mit Strom und Wärme zu versorgen sind mittlerweile etwa zwölf Megawatt nötig –, hatte das Baudezernat der Universität bereits 2002 einen Neubau mit einer maximalen Leistung von 13 Megawatt beschlossen. Die Integration modernster Umweltstandards sollte dabei gleichzeitig eine deutliche Reduzierung der Betriebskosten ermöglichen (den überschüssigen Strom verkauft die Universität inzwischen an lokale Netzbetreiber).

Für den Neubau hatte der Bauausschuss der Universität unter Leitung von Aryan Sikkema – der von 1984 bis 2005 „Bouwmeester“ der Universität war und in dessen Amtszeit die gesamte Neustrukturierung von De Uithof erfolgte –, ganz bewusst ein Büro gesucht, das in der Lage war, die Planungsvorgaben nicht nur funktional, sondern auch ästhetisch umzusetzen. Angedacht war ein Entwurf, der ausdrücklich Bezug auf den Standort zwischen Stadt und Landschaft und die Architektur der vorhandenen Energiezentrale von Sjoerd Wouda aus dem Jahr 1968 nehmen, andererseits aber trotzdem eigenständig formuliert sein sollte. Auf Grund des Anforderungsprofils entschied sich das Gremium schließlich gegen eine Ausschreibung und vergab den Auftrag direkt an das renommierte Amsterdamer Büro Zeinstra Van der Pol, das den Bauausschuss bereits einige Jahre zuvor mit einem vorherigen Wettbewerbsbeitrag für den Campus überzeugt hatte.

Sinnfällige Formgebung

Anders als es die expressive Form des Ende 2005 nach 18-monatiger Bauzeit fertig gestellten Neubaus zunächst vermuten lässt, stellt der Entwurf eine direkte Antwort auf die vom Büro Eneco Energie Levering aus Utrecht entwickelte technische Anlagenplanung dar: „Um die notwendige Kapazität der Anlage zu ermöglichen, mussten sechs baugleiche erdgasbetriebene Generatoren sowie die dazu notwendigen Räumlichkeiten und Installationen integriert werden“, beschreibt Projektleiter Jan Jaap Roeten vom Atelier Zeinstra Van der Pol die Ausgangslage. Für jeden dieser Generatoren war ein eigener, jeweils sechs x zehn Meter großer geschlossener Betriebsraum mit massiven, jeweils 214 Millimeter starken Kalksandsteinwänden vorgesehen. Ebenfalls festgelegt war die emissionsbedingte Höhe der Schornsteine von insgesamt 26 Metern. „Unsere Aufgabe war es dann letztlich, eine wetterfeste und Lärm schützende Hülle für diese Funktionen zu entwickeln“, fasst Jan Jaap Roeten die Planungsvorgaben zusammen.

Anhand der vorgegebenen Parameter entwickelte das Planungsteam um Liesbeth van der Pol gemeinsam mit dem von Anfang an eng in die Planung einbezogenen Konstrukteur Fred Schreuders vom Ingenieurbüro Pieters Bouwtechniek schnell die grundlegende Idee, für jeden der sechs Turbinen ein eigenes Abluftsystem mit jeweils eigenem Schornstein zu integrieren; eine ebenso einfache wie sinnfällige Formgebung, die beim Betrachter sofort archaische Assoziationen an alte Industriebauten oder längst aufgegebene Mienenschächte hervorruft und die übrigens unter anderem durch Arbeiten der beiden Düsseldorfer Industrie-Fotografen Bernd und Hilla Becher inspiriert wurde, wie Jan Jaap Roeten verrät. Schon auf den ersten Blick ist somit die Funktion des Gebäudes nach außen ablesbar. Betont wird die markante Form durch die Wahl von Corten-Stahl für die frei tragende, bis auf zwei Fenster durchgehend geschlossene Außenfassade. Die Hülle strahlt gerade durch ihre fast abstrakte Homogenität eine eigentümliche Kraft aus, die der an sich eher trockenen Bauaufgabe eine fast sakrale Anmutung verleiht. Ein ganz anderer Eindruck ergibt sich jedoch im Innenraum, wo der rostrote Corten-Stahl gewollt mit der Künstlichkeit der hellblau lackierten Böden und Wände kontrastiert wurde.

Intelligente Grundrissaufteilung

Nicht nur die grundlegende Form, auch die genauen Abmessungen der über einer quadratischen Grundfläche von 32 mal 32 Metern symmetrisch aufgebauten Außenhülle ergaben sich letztlich direkt aus funktionalen Gesichtspunkten: Um möglichst kurze Wege und gleichzeitig eine optimale Nutzung des Innenraumes ohne „verschenkten Raum“ zu ermöglichen, wurden die sechs Turbinen in zwei Reihen mit jeweils drei Anlagen um eine breite Mittelachse im Kern des Gebäudes platziert. Hinter den Motorenräumen wurde dabei für Inspektionen jeweils ein rund ein Meter breiter Raum zwischen Außenhaut und den Wänden der einzelnen Kammern vorgehalten.

Der Zugang in das Gebäude erfolgt über einen nach Süden leicht vorgelagerten Anbau, der gleichzeitig zwei Mittelspannungsräume, einen Traforaum sowie einen Raum zur Lagerung von zwei Schmieröltanks beherbergt. Das Eingangstor nach Norden dient dagegen lediglich zum Maschinentransport sowie als Notausgang. Sämtliche übrigen Funktionen wurden in einem auf vier Stahlträger ruhenden, durchgehend mit Glas eingefassten Volumen im ersten Obergeschoss untergebracht – darunter die mit einem kleinen Fenster nach außen ausgebildete Steuerungszentrale sowie Küche, Dusche und WCs. Rechts und links angrenzend von diesem Glaseinbau haben die Mitarbeiter Zugang zu den Abluftleitungen, zu den Filter- und Lüftungsanlagen sowie zu den engen Aufstiegen zu den Schornsteinen.

Frei tragende Hülle

Ein ganz entscheidendes Kriterium bei der Konstruktion des Neubaus war ein optimierter Lärmschutz: „Um eine Ausbreitung vor allem der niederfrequenten Schwingungen der Generatoren zu vermeiden, haben wir uns dazu entschieden, die Wände der Generatorenräume in einer Art ‚Schachtelprinzip’ vollkommen getrennt von den Turbinenräumen zu halten und die gesamte Außenhülle komplett frei tragend zu konstruieren,“ erklärt Jan Jaap Roeten. Dem gleichen Prinzip folgen auch die Böden der sechs Generatorenräume, die ganz bewusst auf eigenen Fundamenten errichtet wurden, die von der übrigen Betonbodenkonstruktion getrennt gehalten sind.

Die Entscheidung für das Material Corten-Stahl war zu Beginn noch nicht festgelegt, entstand aber bereits in einem recht frühen Planungsstadium: „Corten-Stahl ist eine witterungsbeständige Stahllegierung, deren Oberfläche mit einer besonders dichten Eisenoxidschicht überzogen ist, die anschließend für eine hohe Rostbeständigkeit verantwortlich ist“, beschreibt Jan Jaap Roeten die Eigenschaften des selbst von nahem besehen fast samtweich scheinenden Materials. „Diese Materialoberfläche fungiert dann anschließend quasi als Sperrschicht, die einen weiteren Zutritt feuchter Umgebungsluft und damit einen weiteren Rostangriff weitestgehend verhindert. Nach unseren Berechnungen braucht es immerhin rund 50 Jahre, bis das Material etwa ein bis zwei Millimeter weiter gerostet ist.“ Alternativ standen kurzzeitig auch Aluminium, Edelstahl oder sogar Backstein zur Auswahl – „neben den überzeugenden ästhetischen Qualitäten sprachen aber schließlich vor allem die geringe Außenwandstärke von maximal 2,5 Zentimeter sowie die geringen Unterhaltungskosten eindeutig für den Corten-Stahl.“

Realisierung der Fassade

Zur Realisierung der Fassaden konnte kein traditionelles Bauunternehmen gefunden werden. Nach längerer Suche wurde daher schließlich das Stahlbauunternehmen Staalbouwers Hollandia beauftragt, das sonst überwiegend Brücken und größere Stahlskulpturen fertigt und über das große Erfahrungen beim Bau so großer Stahlflächen verfügt. Die exakten statischen Berechnungen von Hollandia führten schließlich zu einer vielfach gefalteten, teilweise an einen Schiffsneubau erinnernden Konstruktion aus einzelnen, miteinander verschweißten Stahlplatten. Die Aufbauten der Schornsteine werden dabei durch sechs spantenartig ausgebildete, im Boden verankerte Stützen getragen. Die Hülle bietet eine intelligente Synthese aus Funktion, Form, Material und Konstruktion – eine Qualität, die inzwischen auch die Jury des bedeutenden Niederländischen Stahlbaupreises 2006 würdigte, die dem Neubau vor wenigen Wochen den ersten Preis in der Kategorie Industriebau verlieh. Das Gremium betont vor allem „die verblüffende Logik, mit der die Außenhaut gleichzeitig tragende Funktionen erfüllt“ und wie „die Haut als selbstverständlicher Teil des Neubaus eine ‚Maschine um die Maschine’“ formt.

Aufbauend auf den umfangreichen Planungen im Vorfeld wurden zunächst große Teile der Stahlplatten in der werkseigenen Fabrik gefertigt und teilweise zu V-förmigen Platten gefaltet, um so die notwendige Steifigkeit und Stärke der Außenhülle und der sechs aufragenden Schornsteine zu erreichen. Anschließend übernahm Hollandia den Transport der teilweise noch gar nicht richtig korrodierten Elemente und die komplette Logistik auf der Baustelle, wo letztlich der größte Teil der Schweißarbeiten ausgeführt werden musste. So wurden zum Beispiel die jeweils zwei Elemente für die sechs Schornsteine zunächst horizontal auf dem Boden liegend zusammengeschweißt und mit sämtlichen technischen Einbauten wie Filtern oder Ventilatoren ausgestattet, bevor sie dann per Kran an ihren Bestimmungsort gebracht und dort verschweißt wurden. Zusätzlich verstärkt wurde die Stahlkonstruktion an verschiedenen Stellen durch weitere Aussteifungen auf der Innenseite der Fassade. Die Außenfläche wurde dagegen bis auf wenige, ebenfalls mit Corten-Stahl ausgebildete Funktionsdetails wie Eingangstüren oder Lüftungsöffnungen durchgehend homogen gestaltet. Weiter betont wird die raue Qualität des Materials durch die an vielen Stellen sichtbar gebliebenen Spuren des ungewöhnlichen Baufortschritts. Ganz ausdrücklich bestanden die Architekten zum Beispiel darauf, die auflackierten Kennzeichnungen anschließend nicht zu entfernen, sondern ebenso wie die unterschiedlichen Korrosionsspuren auf den Stahlplatten als Hinweise auf die Konstruktion und die Baugeschichte bewusst beizubehalten.

Umweltschonender Betrieb

Der überzeugenden Gestaltung und Konstruktion des Neubaus entspricht auf anderer Ebene eine avancierte Anlagentechnik. Gemeinsam mit der bestehenden Energiezentrale stellt das neue Blockheizkraftwerk nicht nur den gesamten Strombedarf der Universität sicher, sondern gleichzeitig wird auch die bei der Stromproduktion anfallende Restwärme genutzt: Im Winter wird damit der größte Teil der notwendigen Energie zur Beheizung der Gebäude gedeckt, im Sommer wird mittels Kraft-Wärme-Kopplung über eine Absorptionskältemaschine ein Großteil der Energie für die Lüftung bereit gestellt. Diese Doppelnutzung erlaubt nicht nur einen wesentlich umweltschonenderen Betrieb, sondern führt gleichzeitig zu deutlich niedrigeren Betriebskosten. Der auf den ersten Blick so archaisch anmutende Industriebau erweist sich so bei näherem Hinsehen als hochmoderner Beitrag zum Klimaschutz. Und als intelligente Inszenierung zum Thema „Energieverbrauch“, die den Studenten und Angestellten der Universität Anlass zum Nachdenken gibt.

© Text und Foto: Robert Uhde

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