“Ein Schiff auf der Heide”

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  1. Architekturjournalismus

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Renovierung des Sanatoriums Zonnestraal in Hilversum

Das 1928 nach Plänen von durch Jan Duiker, Bernard Bijvoet und Jan Gerko Wiebenga errichtete Sanatorium Zonnestraal in Hilversum gilt als eines der bedeutendsten Beispiele des Neuen Bauens in den Niederlanden. Nach Jahren des Verfalls haben die Architekten Hubert-Jan Henket und Wessel de Jonge ein umfangreiches Sanierungskonzept für die gesamte Anlage entwickelt. In einem ersten Schritt wurde jetzt das Hauptgebäude wieder eröffnet.

Der Besuch des inmitten des weitläufigen Waldgebietes “Loosdrechtse Bos” gelegenen Sanatoriums Zonnestraal gleicht fast einer Zeitreise. Denn mit seiner funktionalen Rationalität und seinen strahlend weiss verputzten und grossflächig verglasten Fassaden bildet der Komplex eines der faszinierendsten Zeugnisse für die utopisch-optimistische Aufbruchsstimmung der Moderne. Die Errichtung der verschiedenen Gebäude in Stahlbetonskelett-Konstruktion bot dabei die Möglichkeit, sämtliche Fassaden und Wände von ihrer tragenden Funktion zu befreien und so leichte und lichtdurchflutete Gebäude mit freier Grundriss-Einteilung zu schaffen.

Die rund 120 ha grosse, ursprünglich als Nachsorge-Einrichtung für tuberkulosekranke Diamantenschleifer eingerichtete Sanatoriumsanlage besteht aus mehreren Einzelbauten, die durch Jan Duiker, Bernard Bijvoet und Jan Gerko Wiebenga durch eine einheitliche Architektursprache zu einem homogenen Ganzen zusammengefügt wurden: Das zentral gelegene Hauptgebäude – von den Zeitgenossen aufgrund seiner schwebenden Ausstrahlung “Schiff auf der Heide” benannt –, nahm dabei die allgemeinen Funktionen Küche, Badhaus, Kesselhaus, Verwaltung und Speisesaal auf. In direkter Nachbarschaft schlossen sich der Dresselhuijs- und der Termeulen-Pavillon mit jeweils 50 Patientenzimmern an. Komplettiert wurde der Komplex durch vier halbkreisförmig angeordnete Werkgebäude für die Arbeitstherapie sowie durch ein kreisförmiges, bereits 1997 saniertes Personalgebäude, das heute ein Informationszentrum beherbergt.

Durch den allmählichen Rückgang der Tuberkulose in den 50er-Jahren verlor die Einrichtung nach und nach seine ursprüngliche Funktion und wurde schliesslich zu einem Allgemeinen Krankenhaus umgebaut – kaum überraschend, denn da man davon ausgegangen war, dass die Krankheit bald besiegt sein würde, hatten die Architekten das Sanatorium lediglich für eine begrenzte Lebensdauer von 30 bis 50 Jahren geplant. Sukzessive wurden daraufhin Patientenzimmer zusammengefügt, Säle umgebaut, Gänge verbreitert und Operationsräume angebaut. Der charakteristische stählerne Schornstein des Kesselhauses wurde ausserdem durch einen viereckigen Schornstein aus Ziegeln ersetzt. Trotz dieser “Modernisierungsmassnahmen” gingen die Belegungszahlen immer weiter zurück, so dass die gesamte Einrichtung 1993 geschlossen wurde.

Was folgte, war der zunehmende Verfall der Anlage. Und obwohl die staatliche Denkmalpflege bereits 1983 die beiden Architekten Wessel de Jonge aus Rotterdam und Hubert-Jan Henket aus Vught mit einer ersten Untersuchung über den baulichen Zustand der Gebäude beauftragt hatte, dauerte es noch bis Ende der 90er-Jahre, bis sich die Möglichkeit ergab, den seit 1988 als Rijksmonument eingestuften Komplex zu sanieren und einer neuen Nutzung als Gesundheitszentrum zuzuführen.

Als erster Schritt der in Zusammenarbeit zwischen dem Krankenhaus Hilversum, der “Stiftung Loosdrechtse Bos”, der staatlichen Denkmalpflege und der Stadt Hilversum geplanten Umnutzung von Zonnestraal erfolgten die jetzt abgeschlossenen Sanierungen der vier Werkgebäude sowie des Hauptgebäudes. Bis auf einen kleineren Fassadenabschnitt, der aus frei gelegten Fragmenten neu aufgebaut werden konnte, mussten dabei sämtliche Fassaden bis auf das Betonskelett abgerissen und mit neuen Rahmen mit etwas schwereren Stahlprofilen wieder aufgebaut werden. Als Vorbild diente hier die etwas veränderte Rahmenkonstruktion, die bei der Errichtung des einige Jahre später fertiggestellten Dresselhuys-Pavillons realisiert worden war. Als regelrechte Detektivarbeit erwies sich dann die Suche nach einem geeigneten Glas für die Fassaden, denn die zum Zeitpunkt der Erbauung verwendeten “gezogenen” Gläser wiesen nicht nur die charakteristischen vertikalen Verformungen mit den damit einhergehenden unregelmässigen Spiegelungen auf, sondern wurden auch bis zur vollständigen Farblosigkeit gebleicht. Nach langer Suche wurden die jetzt verwendeten Gläser schliesslich in Litauen gefunden.

Statt nach der Wiedereröffnung lediglich als Museum zu dienen, verfolgt das Sanierungskonzept ganz bewusst eine Balance zwischen kulturellem Wert und neuer Funktion. Die eng an die ursprüngliche Funktion angelehnte neue Bestimmung als Gesundheitszentrum ermöglichte dabei, dass die Architekten fast durchgängig die ursprüngliche Einteilung und Detaillierung realisieren konnten – inklusive des jetzt wieder als Heizungsanlage dienenden Kesselhauses. Der erste Schritt zur Sanierung von Zonnestraal ist also gemacht. Einen wichtigen Schub für die weitere Planung erhoffen sich die Verantwortlichen durch den voraussichtlichen Besuch von Königin Beatrix zur offiziellen Einweihung des Gebäudes im Frühjahr. Ein weiterer Höhepunkt ist ab April geplant, denn dann soll der im Obergeschoss wieder eingerichtete Veranstaltungssaal als Kulisse einer Theateraufführung dienen. Auf dem Programm steht – man hätte es sich kaum besser wünschen können – eine speziell für Zonnestraal adaptierte Fassung des “Zauberberges”.

© Text und Foto: Robert Uhde

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