“Markante Ufer-Silhouette”

Created for db deutsche bauzeitung in 2004

Kategorie

  1. Architekturjournalismus

DSCN35941-ausschnitt

Wohnblock in Huizen (NL)

Am Südufer des Gooi-Meeres bei Amsterdam haben die Rotterdamer Architekten Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk Mitte der neunziger Jahre acht Wohnblöcke mit insgesamt 152 Wohnungen realisiert. In einem zweiten Bauabschnitt wurde das Ensemble jetzt um fünf komplett im Wasser errichtete Baukörper mit jeweils 14 Appartements ergänzt. Die steil abfallenden Silhouetten der skulptural geformten „Sphinx-Blöcke“ schaffen nicht nur eine markante Ufer-Skyline, sondern ermöglichen auch eine maximale Besonnung der einzelnen Wohneinheiten.

Raumplanung auf Niederländisch: Bis in die sechziger Jahre hinein grenzte die etwa 30 Kilometer östlich von Amsterdam gelegene, rund 40.000 Einwohner zählende Gemeinde Huizen noch direkt ans Ijsselmeer. Seitdem ist hier so Einiges bewegt worden: Denn nach der 1968 erfolgten Fertigstellung des südlichen Flevolandes – nach dem 1930 trocken gelegten Wieringermeer, dem bis 1942 entstandenen Nordoost-Polder und dem 1957 errichteten östlichen Flevoland die vierte künstliche Landgewinnung der Niederländer im Ijsselmeer –, blieb als Rinne zwischen dem Festland und dem etwa zwei Kilometer entfernten Polder lediglich das insgesamt etwa 10 km2 große Gooi-Meer bestehen. Trotz dieser tiefgreifenden Veränderungen hat die Gemeinde Huizen nur wenig von ihrer Anziehungskraft verloren. Im Gegenteil: Durch die naturnahe Lage inmitten eines ausgedehnten Waldgebietes sowie die Nähe zu den Zentren Amsterdam im Westen, Hilversum im Süden und dem neu gegründeten Almere im Norden gilt die Gegend nach wie vor als eine der attraktivsten und somit auch teuersten Wohnregionen in den nördlichen Niederlanden.

Mitte der neunziger Jahre hatten die Rotterdamer Architekten Willem Jan Neutelings und Michiel Riedijk hier mit der Planung des direkt am Ufer des Gooi-Meeres gelegenen Wohnungsbauprojektes „Gooimeer-Promenade“ begonnen. Im ersten, zwischen 1995 und 1996 fertiggestellten Bauabschnitt realisierten die Architekten eine massive Uferbebauung mit acht jeweils sechsgeschossigen Volumina, deren rhythmische Platzierung geschickt dem Verlauf einer kleinen Bucht folgt. Unmittelbar vor dieser „Küstenwand“ ist das bestehende Ensemble jetzt im zweiten Bauabschnitt um fünf direkt im See errichtete Blöcke mit jeweils 14 unterschiedlich geschnittenen Appartements erweitert worden. Die intelligente Grundriss-Anordnung der monumental gestalteten Baukörper mit ihrer nach Norden hin steil aufragenden und dabei durch markante Vor- und Rücksprünge gestalteten „sphinxartigen“ Form bietet dabei nicht nur die Grundlage für eine optimierte Besonnung und Tageslichtnutzung, sondern erhält gleichzeitig eine maximale Durchsicht vom Ufer auf den See.

Als Verbindung zum Festland verfügen die durch eine breite Schilfzone vom Ufer getrennten und mit silbergrau schimmernden Aluminiumplatten verkleideten Wohnblöcke jeweils über eine leicht abschüssige Zugangsrampe, die gleichzeitig als Ein- und Ausfahrt zu den unterhalb der Wasseroberfläche gelegenen Tiefgaragen dient. Als weiteren integralen Teil des Projektes entwickelten die Architekten einen langgestreckten Ufer-Boulevard, der die Wohnqualität des wassernahen Areals zusätzlich erhöht. Die neu geschaffenen künstlichen Buchten zwischen den einzelnen Baukörpern können dabei wechselweise als Aussichtsplattform, als Dorfplatz, als Angler-Revier oder als Fläche für Surfer genutzt werden.

Mit ihren ungewöhnlichen, oftmals provozierenden Entwürfen zählen Neutelings Riedijk zu den interessantesten Planungsbüros der Niederlande. Die Architekten selbst beschreiben ihre Vorgehensweise gerne als „Skulpturale Wissenschaft“ – eine Annäherung, bei der sie zunächst ein mathematisch-rationales Konzept erstellen, das dann in einem zweiten Schritt die Grundlage eines weitergehenden, intuitiven Gestaltungsprozesses bietet, bei dem sämtliche Planungsparameter wieder aufgerollt und wie in einer Bildhauer-Werkstatt neu in den vorgefundenen städtebaulichen Kontext integriert werden. Als Ergebnis dieses Prozesses entstehen schwere urbane Solitäre mit „rubensartigen“ Formen (Willem Jan Neutelings) oder raffiniert verschachtelte Collagen, deren Grundrisse sich oftmals als eine Art chinesisches Puzzle mit häufig weit auseinander liegenden oder auf verschiedenen Ebenen angeordneten Räumen erweisen

Ein weiteres interessantes Exempel dieser Vorgehensweise zeigen auch die aufgrund der rar gewordenen Baugrundstücke am Gooi-Meer unversehens vom Ufer ins Wasser verlegten Wohnblöcke in Huizen, deren ungewöhnliche Lage sich gleichzeitig als ironischer Kommentar auf die am Horizont sichtbare, typisch niederländische Philosophie der Landgewinnung aus dem Meer lesen lässt. Die skulpturale, fast theatralische Formgebung der fünf Sphinxen fungiert dabei weniger als Selbstzweck, sondern erweist sich schnell als vollkommen stringente und schlüssige Lösung auf die undankbare Nord-Ausrichtung des Grundstücks zum See, wobei die markant ansteigenden Gebäude-Silhouetten nicht nur großzügige und optimal besonnte Dachterrassen nach Süden für immerhin acht der jeweils 14 Wohnungen je Block ermöglichen, sondern gemeinsam mit den zu den Kopfenden hin sich verjüngenden Grundrissen gleichzeitig die Forderung nach einem möglichst unverbauten Durchblick zwischen Wasser und Ufer erfüllen.

Deutlich schattiger fallen naturgemäß die zum Wasser hin gewendeten Nordseiten der fünf Blöcke aus. Um jedoch auch hier neben der Aussicht auf den See ein Maximum an Sonnenlichteinfall zu ermöglichen, reichen die tief zurückliegenden Balkone in den ersten und zweiten Geschossen deutlich über die Breite der Gebäude hinaus. Eine zusätzliche Rhythmisierung der Fassaden schaffen die weit auskragenden Appartements in den deutlich breiteren Obergeschossen, die durch die zusätzlich integrierten seitlichen Fensteröffnungen nach Südosten und Südwesten ebenfalls einen großzügigen Rundum-Blick bereit halten. Die Bewohner wissen die fantastische Aussicht vom Kopf ihrer Sphinxen zu schätzen. Die rätselhaften Fluten des Gooi-Meeres im Cinemascope-Format!

© Text und Foto: Robert Uhde

Nächstes Projekt