“Facettenreiche Fassade”

Created for db deutsche bauzeitung in 2009

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  1. Architekturjournalismus

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Forschungslabor in Groningen

Die Medizinische Fakultät der Universität Groningen hat ein neues Forschungslabor erhalten. Der markant detaillierte, beinahe fensterlose Neubau des Amsterdamer UNStudios um Ben van Berkel integriert zwei unterschiedlich große Lichthöfe, die eine natürliche Belichtung im Inneren ermöglichen.

Die 1624 gegründete Reichsuniversität Groningen ist nach der Universität in Leiden die zweitälteste Universität der Niederlande. An insgesamt neun Fakultäten sind hier rund 25.000 Studenten eingeschrieben. Zu den bedeutendsten Instituten der Universität gehört die nordöstlich der Innenstadt gelegene Medizinische Fakultät mit ihren zahlreichen Lehr- und Forschungsgebäuden. Ende 2008 wurde hier ein neues medizinisches Forschungslabor eröffnet. Der im nördlichen Bereich des großflächigen Areals direkt neben der bestehenden 13-geschossigen Universitätsklinik errichtete Neubau integriert auf sechs Ebenen mit einer Bruttogeschossfläche von rund 1100 Quadratmetern 270 unterschiedlich große Laboreinheiten für die medizinische Forschung.

Erste Überlegungen zur Errichtung des neuen Forschungslabors gab es bereits Anfang 2003. Aus dem anschließend ausgeschriebenen Architektenwettbewerb ging schließlich das Amsterdamer UNStudio um Ben van Berkel als Sieger hervor. Das international renommierte Büro, das in Deutschland insbesondere durch den Neubau des Mercedes-Benz-Museums in Stuttgart auf sich aufmerksam machen konnte, hatte wenige Jahre zuvor bereits ein funktional wie ästhetisch überzeugendes Laborgebäude für die Universität in Utrecht realisiert. Gegenwärtig sind die Architekten außerdem mit der Planung des Zentrums für Virtuelles Engineering ZVE des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart beschäftigt.

Geschlossene Hülle

Die vorhandenen Gebäude auf dem Areal der Medizinischen Fakultät in Groningen wurden in den vergangenen Jahrzehnten ohne einheitlichen Masterplan sukzessive zu einer „Stadt in der Stadt“ entwickelt und bieten dementsprechend einen stark heterogenen Gesamteindruck. „Mit unserem Entwurf wollten wir daher einen deutlichen architektonischen Akzent am Standort schaffen, der auf den ersten Blick den innovativen Charakter der vor Ort betriebenen Forschung sichtbar machen soll“, beschreibt Ben van Berkel die Zielsetzung seines Büros. „Eine wichtige funktionale Vorgabe war dabei die Ausbildung einer weitgehend fensterlosen Fassade, um so kein Tageslicht in die Laborräume dringen zu lassen.“

Als Umsetzung dieser Anforderungen entwickelten die Planer einen quaderförmigen, durch eine schräg ansteigende Rückfront leicht asymmetrischen Baukörper in Stahlbetonbauweise, der über eine frei tragende Brücke mit der nordöstlich angrenzenden Universitätsklinik verbunden wird. Zur Verkleidung der Fassaden wurde oberhalb eines bis zu drei Meter hohen, grau verputzten Sockels eine durchgehende, lediglich durch einige kleinere Fenster geöffnete Außenhülle aus vertikalen Aluminiumpaneelen im Format von 1,4 x 0,6 Metern gewählt. Die markant gestaltete Fassade schafft einen hochwertigen Blickfang zur Stadt, ohne dabei mit dem nordwestlich direkt angrenzenden, fast zeitgleich errichteten Lehrgebäude für Anatomie und Embryologie mit seiner organisch gerundeten Außenhülle in Konkurrenz zu treten. Als einzige Zugänge wurden ein Sektionaltor zur Anlieferung sowie jeweils ein Notausgang an der Südost- und der Nordwestfassade integriert. Die Erschließung des Gebäudes erfolgt stattdessen ausschließlich über die frei tragende – ebenfalls mit Aluminiumpaneelen sowie mit einer großen Glasfront ausgebildete – Brücke zur Universitätsklinik als direkte Verbindung zum zweiten Obergeschoss.

Um die strenge Geschlossenheit des Baukörpers optisch aufzulösen, gestalteten die Planer die Außenhülle in einigen Bereichen mit unterschiedlich stark geschwungenen, dabei zunehmend in sich gedrehten und nach außen gekehrten Aluminiumpaneelen. Die unterschiedlich breiten vertikalen Cluster von jeweils übereinander platzierten Elementen erzeugen je nach Blickwinkel und Entfernung ein bewegtes dreidimensionales Muster, das mit seinem doppeldeutigem Spiel von Zeigen und Verbergen einen spannenden Verweis auf die im Inneren verborgene Forschung bietet. Zusätzlich gesteigert wird der Eindruck durch eine farbige Gestaltung der nach außen gekehrten Innenseiten der Aluminiumelemente: Im unteren Bereich der Fassade wurden gelb beschichtete Innenflächen verwendet, nach oben geht die Farbigkeit schrittweise ins Grüne über, um so einen Bezug zu den angrenzenden Bäumen zu schaffen, wie Ben van Berkel erklärt.

Offene Lichthöfe

Ähnlich facettenreich wie die Außenfassade präsentiert sich auch das Innere des neuen Laborgebäudes, das aus hygienischen Gründen ausschließlich von Mitarbeitern des Instituts betreten werden darf. Für alle anderen endet der Weg vor der Sicherheitsschleuse am Ende der innen grell orange gestalteten Brücke. Im Kern des Gebäudes integrierten die Planer zwei große Lichthöfe in Form zweier abgestumpfter asymmetrischer Kegel. Im Zusammenspiel mit großformatigen Oberlichtern ermöglichen die beiden Atrien eine ausreichende Versorgung des zentralen Bereiches mit Tageslicht und schaffen gleichzeitig die Voraussetzung für die von der Universität gewünschte Unterteilung des Gebäudes in unterschiedliche Hygieneniveaus.

In beiden Lichthöfen integrierten die Planer jeweils eine spiralförmig in sich gedrehte Wendeltreppe, mit denen sich die unterschiedlichen Ebenen der unterschiedlichen Gebäudebereiche auch unabhängig voneinander erschließen lasen. Der südlichere der beiden Lichthöfe bietet eine größere Grundfläche und verjüngt sich in Richtung eines relativ kleinen Oberlichtes, der andere wurde umgekehrt mit einer kleineren Grundfläche gestaltet und weitet sich in Richtung des schräg ansteigenden Daches. Ersterer erschließt ausschließlich die vier Laborebenen des Gebäudes, der andere, deutlich hellere, bietet überdies auch Zugang zu den Technikebenen, die sich im Kellergeschoss, zwischen zweiter und dritter Laborebene sowie im Dachgeschoss über der vierten Laborebene befinden. „Die Außenflächen der beiden Kegel haben wir dabei aus Gründen des Brandschutzes als transparente Glasfassade zwischen den Lichthöfen und den angrenzenden Gebäudeebenen gestaltet, so dass die Innenräume der Kegel auch als Fluchttreppenhäuser fungieren“, so Ben van Berkel.

Um eine übersichtliche Orientierung zu ermöglichen und dunkle Korridorsysteme in den einzelnen Ebenen zu verhindern, sind die beiden Lichthöfe auf sämtlichen Ebenen von umlaufenden Emporen umgeben. Die Wände und Böden der Emporen führten die Planer jeweils in durchgehender, geschossweise sich verändernder Farbigkeit aus. Ähnlich wie im Außenbereich entstand so ein farbig bewegter Raumeindruck mit fließenden Übergängen: Im Erdgeschoss, wo am wenigsten Tageslicht ins Gebäude einfällt, wurde ein hellgelber Farbton verwendet, weiter oben wird die Farbigkeit zunehmend dunkler und wandelt sich über Orange zu leuchtendem Rot. Die durchgehend eingesetzten Bodenbeläge und Wandbeschichtungen aus Kunststoff lassen sich den hohen hygienischen Standards entsprechend problemlos reinigen und desinfizieren.

Flexible Ausstattung

Bei der Ausstattung der einzelnen Laborräume standen überwiegend funktionale Aspekte im Vordergrund. Die Kosten konnten dabei aufgrund der Integralen Planung auf 1425 Euro je Quadratmeter Nutzfläche reduziert werden. Aufbauend auf den Vorgaben der Institutsleitung entwickelten die Architekten ein variables Raumkonzept für 18 feste Mitarbeiter mit insgesamt 270 Reinraumlaboreinheiten in vier unterschiedlichen Hygieneniveaus. Die Hauptlaborräume bieten eine Grundfläche von jeweils 2,70 x 2,70 bzw. 2,70 x 5,40 Metern und lassen sich bei Bedarf ohne größere Umbauten umrüsten oder erweitern. Den Anforderungen entsprechend stehen auf sämtlichen Ebenen Räume unterschiedliche Hygieneniveaus zur Verfügung, die jeweils durch entsprechende Sicherheitsschleusen bzw. Luftduschen voneinander abgegrenzt werden. Die Belichtung sämtlicher Laborräume erfolgt ausschließlich über Kunstlicht, lediglich in den neben dem Eingangsbereich gelegenen Büros im zweiten Obergeschoss wurden Fenster integriert. Zur Erfüllung der Brandschutzauflagen wurden Rauchdetektoren eingebaut.

Bei der Entwicklung des Energiekonzeptes kam den Architekten entgegen, dass sie aufgrund der geschlossenen Fassade auf eine gesonderte Kühlung des Gebäudes verzichten konnten. Die Kühlung wird stattdessen durch die eingebaute Lüftungsanlage übernommen, die überdies der Nutzung entsprechend einen 16-fachen Luftaustausch je Stunde sicherstellt. Die Zufuhr von Frischluft erfolgt dabei über den großen Lichthof. Zur Beheizung des Gebäudes kommt eine Luft-Wärmepumpe zum Einsatz, die sich für jeden Raum flexibel einstellen lässt. Auch ohne visuellen Kontakt zur Außenwelt steht den Mitarbeitern im neuen Laborgebäude also jederzeit ein angenehmes Binnenklima zur Verfügung. Als wichtige Voraussetzung für die innovative medizinische Forschung vor Ort.

© Text: Robert Uhde

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