“Hommage an M. C. Escher”

Created for architektur.aktuell in 2007

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  1. Architekturjournalismus

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Bürogebäude von René van Zuuk in Lelystad

Ob beim biomorphen Neubau des Amsterdamer Architekturzentrums Arcam oder bei seinem dynamisch gewellten Wohnblock „The Wave“ in Almere – das einfach Orthogonale gehört ganz offensichtlich nicht zu den Lieblingsdisziplinen des niederländischen Architekten René van Zuuk. Jetzt hat er ein Bürogebäude in Lelystad, der Hauptstadt der Polderprovinz Flevoland, fertiggestellt. Dem vorgegebenen engen Gestaltungsrahmen des „Niederländischen Grachtenhauses“ trotzend, hängte er dabei einen ornamental gestalteten Vorhang aus Betonelementen vor die eigentliche Fassade. Der achtgeschossige Bau wird so deutlich aus der Nachbarbebauung hervorgehoben.

Seit den 1930er Jahren und bis in fünfziger und sechziger Jahre hinein legten die Niederländer große Teile des IJsselmeeres trocken. Auf den neu entstandenen Poldern wurden mit großem städtebaulichen Enthusiasmus unter anderem die Städte Lelystad und Almere komplett neu errichtet. Jahrzehnte später hat sich statt der anfänglichen Euphorie jedoch eher Ernüchterung breit gemacht. Denn den vollständig am Reißbrett entstandenen Siedlungen fehlt es bis heute an lebendigen und Identität stiftenden Strukturen. Ähnlich wie bereits in Almere soll daher auch die Innenstadt von Lelystad in den nächsten Jahren tief greifend umstrukturiert werden. Die dazu bereits 2001 vorgestellte städtebauliche Planung des Rotterdamer Büro West 8 sieht eine deutliche Verdichtung und stärkere funktionale Durchmischung des Zentrums vor.

Eines der ersten sichtbaren Resultate dieser Planung ist die beinahe fertig gestellte Häuserzeile an der „Zilverparkkade“. Das nach dem Niederländischen Grachtenhausprinzip gestaltete Projekt integriert zwölf unterschiedlich gestaltete Büro- und Wohngebäude mit durchschnittlich acht Geschossen, die sämtlich durch andere Büros geplant wurden – darunter Erick van Egeraat aus Rotterdam sowie Meyer en van Schooten und SeArch aus Amsterdam. Schulter an Schulter reihen sich die Häuser auf den schmalen Grundstücken aneinander. Neben der stark variierenden Größe – der niedrigste Bau besitzt vier, der höchste 14 Geschosse – war dabei aufgrund des eng begrenzten architektonischen Spielraums die Fassadengestaltung die beinahe einzige Möglichkeit, den Gebäuden eine eigene Identität zu geben.

René van Zuuk wurde mit der Bebauung des von Westen besehen zweiten Grundstücks beauftragt. Dem Wunsch des Auftraggebers nach einem markanten Neubau mit hohem Widererkennungswert entsprechend, entschied er sich für eine ungewöhnliche doppelte Fassadenkonstruktion: Um eine optimale Aussicht auf die südlich angrenzende Wasserfläche sowie den schmalen Streifen des gegenüber liegenden Zilverparks zu ermöglichen, ließ er die gesamte Südfassade sowie die beiden über das Nachbargebäude hinaus ragenden Geschosse nach Westen durchgehend vom Boden bis zur Decke mit Glas ausführen. Rund einen Meter davor hängte er dann oberhalb des Mezzaningeschosses mit dem Eingangsbereich eine ornamentale Struktur aus vorgefertigten Sichtbetonelementen vor diese innere Glasfront.

Von weiter weg betrachtet bildet das Sichtbeton-Geäst ein elegant-bewegtes filigranes Muster. Beim näher Kommen verdichtet sich die organisch gestaltete Struktur zunehmend und es wird deutlich, dass die einzelnen Elemente auf einem geometrischen Raster von anthrazitgrauen Betonpaneelen befestigt sind, die als Balkone zum Putzen der Fenster dienen. Die ornamentalen Zweige haben somit nicht nur ästhetische Funktion, sondern sie fungieren gleichzeitig als Brüstungen. Eigentlich wären nach dem Masterplan von West 8 keine auskragenden Elemente erlaubt gewesen. Durch das Zurücksetzen der Glasfassade um einen halben Meter sowie die Integration der vorgehängten Netzstruktur konnte Van Zuuk die strengen Auflagen jedoch umgehen. Gleichzeitig fungieren die dunkelgrauen Betonpaneele als Schutz vor einem Brandübergriff zwischen den einzelnen Geschossen, so dass im gesamten Neubau geschosshohe Fenster mit normalem Glas eingesetzt werden konnten.

Als weitere Funktion sorgt die Zweigstruktur für eine deutlich verminderte Sonneneinstrahlung und Durchsicht von außen, ohne dass gleichzeitig die reizvolle Aussicht auf die Umgebung eingeschränkt würde. Die „Begrünung“ aus Beton fungiert so ganz bewusst als eine Art vorgesetzte Membran zwischen der betriebsamen Innenwelt des Büros und der ländlichen Urbanität des Polders. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das dynamische Spiel von Licht und Schatten, das sich auf der Glasfront, den Betonelementen oder dem Boden abzeichnet.

Bei der Gestaltung der Gitterstruktur orientierte sich René van Zuuk an den vielschichtigen Arbeiten des bekannten niederländischen Grafikkünstlers M. C. Escher. Das Resultat dieser Auseinandersetzung ist ein Muster aus verschiedenen kleineren und größeren Sichtbetonelementen, die trotz der Wiederholung ein organisches Ganzes bilden. An den beiden Seitenfronten des Gebäudes wird das ornamentale Muster teilweise als Relief auf den dunkelgrauen Sichtbetonplatten fortgeführt. Die Nordseite des Neubaus in Richtung der Stadt wurde stattdessen mit lang gestreckten horizontalen Fensterbändern sowie geschlossenen Fassadenpaneelen aus dem dunkelgrauen Sichtbeton untergliedert, auf dem sich das helle Relief der Ornamentstruktur abzeichnet. Akzentuiert wird die Ansicht durch eine tief eingeschnittene vertikale Fuge, die sich über die gesamte Gebäudehöhe erstreckt. Der Einschnitt schafft nicht nur eine rhythmisch interessant Gliederung der Fassade, sondern macht gleichzeitig die Struktur und Aufteilung der Innenräume sichtbar: Im schmaleren linken Teil entlang der komplett geschlossenen Fassade in Richtung Osten finden sich sämtliche technischen Räume sowie Lift, Toiletten und Teeküchen. Im rechten Teil schließen sich die flexibel einteilbaren Büroflächen an. Zwischen beiden Zonen vermittelt jeweils ein Flur, der in einen kleinen Balkon in der Fuge mit Zugang zum Brandtreppenhaus führt.

Die letzten Arbeiten in der Häuserzeile sind zwar noch nicht abgeschlossen, doch schon jetzt zeigt sich, dass die klare und eindeutige Gitterstruktur des Neubaus von René van Zuuk einen markanten Blickfang inmitten der überaus variabel gestalteten, teilweise etwas überfrachteten Häuserzeile schafft. Und der Tatsache, dass die ornamentalen Sichtbetonzweige mit der Zeit wohl unweigerlich ergrauen werden, sieht Van Zuuk eher gelassen entgegen: Denn anders als bei abstrakt gestalteten Fassaden, die sehr empfindlich gegen Verwitterungsspuren sind, würden die Spuren der Zeit hier aufgrund der figurativen Gestaltung einfach als eine weitere architektonische Schicht erfahren. Als ein neues Muster, welches das Gebäude weicher mache und ein lebendiges Äußeres schaffe.

© Text + Foto: Robert Uhde

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