“Swinging Fifties”

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  1. Architekturjournalismus

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Altenwohnheim in Rotterdam

In der Phase des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg breitete sich die Stadt Rotterdam immer weiter auf dem südlichen Maasufer aus. Eines der seinerzeit neu entstandenen Quartiere ist der Stadtteil Ijsselmonde, der in den nächsten Jahren ein neues Zentrum erhalten soll. Als erstes Projekt im Rahmen der umfangreichen städtebaulichen Planung wurde vor wenigen Monaten das Seniorenwohnheim „De Plussenburgh“ der jungen Amsterdamer Architekten Arons en Gelauff fertiggestellt.

Der in unmittelbarer Nähe zum Einkaufszentrum „Keizerswaard“ gelegene, teilweise aufgeständerte Neubau integriert 104 unterschiedlich große Appartements für so genannte „55+ers“, also für teilweise noch berufstätige Menschen ab 55 Jahren. Markante Blickpunkte des Aufsehen erregenden Ensembles sind neben der Aufständerung vor allem die wellenförmig geschwungenen bzw. bunt kolorierten Fassaden, die den ansonsten überwiegend schwarz geklinkerten Bau deutlich aus der monotonen Umgebung hervorheben und so ein gelungenes Aufbruchssignal für die städtebauliche Neustrukturierung des Viertels schaffen.

Das Projekt geht zurück auf einen 2001 eingereichten Wettbewerbsentwurf von Arons en Gelauff. In einem mutigen Schritt hatten sie seinerzeit die bereits relativ weit ausgearbeitete Vorplanung des Gebäudes im Rahmen des städtebaulichen Masterplans in weiten Teilen neu formuliert. “Die Senioren von heute, das ist die Hippiegeneration von einst“, so Architekt Arnoud Gelauff ­ „das sind Mick Jagger und Tina Turner.” Unter dem Motto „hoezo grijs?“ („wieso grau?“) entwickelten die Planer daher eine auffallend poppige, nichtsdestotrotz aber sensibel in den Kontext integrierte Alternativlösung ­ bestehend aus einem sechzehngeschossiges Wohnhochhaus und einem unmittelbar davor auf zehn Meter langen V-förmigen Betonstützen ruhenden Querriegel mit insgesamt sieben Geschossen.

Durch die Öffnung, Drehung und Neukomposition der ursprünglich vorgesehenen Gebäudestruktur gelangen den Architekten nicht nur eine deutliche städtebauliche und architektonische Aufwertung der Umgebung, sondern auch eine verbesserte Nutzung der zur Verfügung stehenden Grundfläche sowie eine Optimierung des Tageslichteinfalls. Für die Bewohner des rückwärtig angrenzenden Pflegeheims „Meerweide“ ermöglicht der Entwurf außerdem eine gute Durchsicht auf eine vorhandene und im Rahmen des Projekts erweiterte Wasserfläche sowie einen Innenhof zwischen beiden Einrichtungen. Noch interessantere Perspektiven bietet freilich der als eigenständiges Volumen ausgebildete Gemeinschaftsraum, der unterhalb des aufgeständerten Querriegels als großzügig verglaster und unterirdisch erschlossener Pavillon im Wasser platziert wurde.

Bei der Planung des Neubaus wurde ganz bewusst nach einem Konzept gesucht, um den Wunsch der Bewohner nach einem eigenständigen und erfüllten Leben im Alter mit der Möglichkeit einer flexiblen Betreuung zusammenzuführen. Die Wahl des Standortes mit seiner räumlichen Nähe zu dem im Innenhof angrenzenden Pflegeheim ­ einem so genannten „Woonzorgcomplex“(„WoZoCo“) ­, kommt deshalb nicht von ungefähr. Denn so können die Bewohner des Neubaus bei Bedarf jederzeit die dort angebotenen Pflegeleistungen in Anspruch nehmen. Ansonsten bietet De Plussenburgh großzügige, barrieregerecht geschnittene Eigentums- oder Mietwohnungen sowie eine Vielzahl an Gemeinschaftsfunktionen. Neben dem Begegnungspavillon gibt es zum Beispiel mehrere Hobby- und Arbeitsräume sowie einen Wasch- und Trockenraum im Erdgeschoss. Als weitere Funktion wurden eine luftig gestaltete Tiefgarage mit 51 Stellplätzen sowie ein Fahrradstellplatz integriert.

Bei der Errichtung des Neubaus war zunächst vorgesehen, auf eine standardisierte, mit dem Tunnelbau vergleichbare Technik des niederländischen Wohnungsbaus zurückzugreifen ­ so genannte „tunnelkisten“ ­, bei dem Decken und Wände gleichzeitig gegossen werden. Letztlich wurde das Projekt jedoch auf Grund der unterschiedlichen Deckentiefen auf herkömmliche Weise mit Wandschalungen und Stahlbetondecken errichtet. Markanter Blickpunkt sind dabei die in weißem Beton ausgeführten Außenfassaden mit den wellenförmig mäandrierenden Balkonen. Gemeinsam mit den „mitschwingenden“ Balustraden und den ebenfalls geschwungenen Sichtbarrieren erzeugen sie eine spielerische, stark dreidimensionale Struktur mit einer fließend variierenden Tiefe von 80 bis 240 Zentimetern.

Einen deutlichen Kontrast zu den bewegten Balkonen schaffen die jeweils auf der gegenüber liegenden Gebäudefassade errichteten, mit eleganten Aluminium-Profilen detaillierten Glasfassaden mit den von außen sichtbaren, vor allem bei Dunkelheit ins Auge springenden Innengalerien. Die als „Wohnstraßen“ mit fließendem Übergang zwischen privat und öffentlich ausgebildeten Gänge wurden durch die Architekten mit geschosshohen folienlaminierten Gläsern in 70 verschiedenen Rot-, Orange- und Gelbtönen gestaltet. Eine weitere Besonderheit bei der Gestaltung der Galerien sind die in Beton ausgeführten Innenwände zu den angrenzenden Wohnungen, auf denen sich die dreidimensionalen Negativ-Reliefs von Bambuspflanzen abzeichnen. Als „Stempel“ fungierte dabei eine Holzverschalung mit einer Strukturmatte aus Gummi, auf der sich das Bambus-Motiv als Positivform abzeichnete. Da beide Volumina unterschiedlich ausgerichtet wurden, sind aus sämtlichen Perspektiven sowohl die geschwungenen Balkone als auch die farbigen Galerien sichtbar. Wo die beiden Baukörper zusammenstoßen, ist ein doppelt breiter Galeriegang mit Bambuswänden zu beiden Seiten entstanden.

Der Neubau wird von Norden her kommend über den Innenhof erschlossen. Linkerhand trifft der Blick dort auf die spiralförmig absteigende Rampe zur Tiefgarage. Weitere spielerische Elemente sind die mitten im Asphalt integrierten dreieckigen Pflanzkästen, in denen eine schilfartige Bepflanzung einen Bezug zum Bambusmotiv schaffen soll, sowie die geschwungenen, grell orangefarbenen Streifen, die schließlich zu einem abrupt abbrechenden kleinen Steg über dem Wasser führen. Über eine zweigeschossige Eingangshalle mit Aussicht auf das Wasser sowie Fahrstühle oder Treppen gelangen die Besucher schließlich in die transparenten Galerien und von dort in ihre Wohnungen. Küche, Badezimmer und Abstellräume liegen dabei jeweils an der Innenseite zum Gang, während Wohn- und Schlafzimmer, getrennt lediglich durch eine Schiebetür, jeweils zum Balkon hin orientiert sind. Die offenen und hellen Wohnungen bieten eine weite Aussicht über die Rotterdamer Skyline und ermöglichen ihren Bewohnern durch die Überspannung von jeweils 9,60 Meter je nach Wunsch die unterschiedlichsten Grundrissvarianten. So ist es etwa ohne großen Aufwand möglich, durch die Entfernung von Zwischenwänden die Appartements zu doppelt großen Wohnungen zu erweitern. Oder es wird in die Bambuswand zur Innengalerie, dort, wo jetzt ein Küchenfenster liegt, eine weitere Tür eingefügt. Durch eine zusätzliche Innenwand lässt sich die Wohnung dann problemlos zu zwei Pflegeeinheiten aufsplitten. Für die Bewohner bedeutet das, dass sie ihre Wohnsituation jederzeit ohne großen Aufwand ihrer Lebenssituation anpassen können. Ein nachahmenswertes Konzept!

© Text + Foto: Robert Uhde

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