“Zentrum der Erinnerung”

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  1. Architekturjournalismus

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Ausstellungsgebäude von Claus en Kaan Architecten für das ehemalige KZ in Vught (NL)

Das nahe der südniederländischen Stadt s’Hertogenbos gelegene Konzentrationslager Vught (ehemals “KZ Herzogenbusch”) war nach dem Übergangslager in Westerbork das größte KZ auf dem Gebiet der besetzten Niederlande. Seit 1990 dient ein kleiner Abschnitt des ehemaligen Lagergeländes als “Nationale Gedenkstätte Kamp Vught”. Aufgrund des jährlich wachsenden Zustroms an Besuchern wurde der Komplex zuletzt durch ein neues Erinnerungszentrum des Amsterdamer Architekten Felix Claus erweitert. Der klar und einfach strukturierte Neubau bietet neben einer Dauerausstellung auch Raum für Wechselausstellungen sowie für die neu eingerichtete museumspädagogische Abteilung.

Das “KZ Herzogenbusch” war das einzige Konzentrationslager in den seit 1940 besetzten Niederlanden sowie den Gebieten in Nord- und Westeuropa, das nach dem Vorbild des KZ Dachau direkt der SS unterstellt war. Zwischen Januar 1943 und September 1944 wurden hier insgesamt rund 31.000 Menschen inhaftiert – neben Juden auch politische Gefangene, Sinti und Roma sowie Zeugen Jehovas und Homosexuelle. Die überwiegende Mehrzahl von ihnen wurde schließlich via Westerbork in die Vernichtungslager Sobibor oder Auschwitz-Birkenau deportiert.

Nach dem Krieg wurden Teile des insgesamt rund 35 ha großen Areals durch die niederländische Armee und für ein Gefängnis genutzt. Das übrige Gelände diente zeitweilig als Internierungslager für Kriegsverbrecher und niederländische Kollaborateure, bevor es ab 1951 zur Heimstätte für Zuwanderer aus den Molukken umfunktioniert wurde. 1990 gelang es, auf Initiative der Stiftung “Stichting Nationaal Monument Kamp Vught”, auf einem kleinen Teil am nordöstlichen Rand des Areals eine Nationale Gedenkstätte einzurichten. Zehn Jahre später, nach zuletzt rund 30.000 Besuchern jährlich, beschloss die Stiftung schließlich, die Gedenkstätte um ein neues Dokumentationszentrum zu erweitern. Parallel dazu sollte das ehemalige Lagergelände so weit wie möglich rekonstruiert werden – darunter eine Gefangenen-Baracke, einige Wachtürme, das Krematorium sowie die das Lager umgebende Gracht mit der Stacheldraht-Absperrung.

Das durch den Amsterdamer Architekten Felix Claus (Claus en Kaan Architecten) geplante Ausstellungsgebäude stellt der regelmäßigen Geometrie des Holocausts einen klar und einfach strukturierten Riegel entgegen, der sich durch seine ganz offensichtlich am Vokabular der niederländischen Moderne orientierte Gestaltung eindeutig als nachträglicher Eingriff zu erkennen gibt, der sich andererseits aber dennoch sensibel und respektvoll in den bestehenden Kontext einfügt. Nach außen hin wird der Neubau vor allem durch seine streng horizontal gegliederte Fassade mit Terakotta-Ziegeln sowie durch wenige größere Glasflächen geprägt, die auf der nach Osten hin gelegenen Frontseite sowie auf der nördlichen Stirnseite in die Hülle des ansonsten fast geschlossenen Baukörpers integriert wurden.

Bei der Gestaltung des ungewöhnlichen Mauerwerks wurden die breiten Fugen zwischen den schmalen Terakotta-Streifen jeweils mit großformatigen und leicht zurück versetzt gemauerten Ziegeln ausgebildet. Anschließend wurden die Steine komplett hell überputzt, so dass sich im Gesamtbild schließlich ein rhythmischer Wechsel aus hellen und dunklen Streifen zeigt. Der Eingangsbereich, gleichzeitig der Zugang zum Außengelände, wird durch den auf die Glasfassade gesandstrahlten Schriftzug “Nationaal Monument Kamp Vught” sowie durch ein aus der Fassade hervor stoßendes Vordach aus Beton markiert.

Im Inneren des Dokumentationszentrums finden sich acht individuell auf die jeweilige Funktion zugeschnittene und ohne zentralen Verbindungsgang miteinander verkettete Ausstellungsräume sowie ein Auditorium, ein Raum für die Museumspädagogik, eine Bibliothek und ein Café. Ausgangspunkt des Rundgangs ist eine Raumfolge aus drei Sälen, in denen die Geschichte des Lagers Vught und des nazistischen Terror- und Verfolgungssystems dokumentiert wird. Der weitere Weg führt auf das durch den Landschaftsarchitekten Michael van Gessel rekonstruierte Außengelände mit der Lagerbaracke, dem Krematoium sowie zwei Mahnmalen für die von Vught aus deportierten jüdischen Kinder und die hier exekutierten Gefangenen. Anschließend gelangen die Besucher wieder ins Innere des Dokumentationszentrums und dort in einen durch ein kreisrundes Oberlicht geöffneten, fast sakral anmutenden Gedenkraum. Es folgen die Wechselausstellung und der schmale “Aktualitätsgang”, der abschließend vor allem die aktuelle Dimension des Holocausts aufzeigen will: Neben einem Film mit Alltagsgesprächen zum Thema Rassismus ist hier auch eine Dokumentation über die berüchtigten Stromschock-Experimente des amerikanischen Psychologen Milgram zu sehen – zwei Beispiele, die völlig unerwartet einen beklemmenden Blick auf die Aktualität des Zusammenhanges zwischen Autorität, Gehorsam und Gewalt werfen.

© Text: Robert Uhde

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