“Fluid Vehicle”

Created in 2004

Kategorie

  1. Architekturjournalismus
  2. Internet

Created for a-matter

DSC02383-ausschnitt

Rund 15 Kilometer südöstlich von Amsterdam wurde vor wenigen Monaten eine neue Bushaltestelle fertiggestellt. Das durch die Rotterdamer NIO Architecten in Zusammenarbeit mit dem ebenfalls in Rotterdam ansässigen Büro VHP errichtete “Fluid Vehicle” besteht vollständig aus Hartschaum und Polyester und ist mit einer Länge von rund 50 Metern das weltweit größte Bauwerk aus Kunststoff.

Mit rund 7.000 neuen Neubauwohnungen ist der Vinex-Standort “Floriande” bei Hoofddorp eines der größten Siedlungsprojekte der Niederlande. Wo bis vor wenigen Jahren nichts als eine grüne Wiese lag, entsteht hier gegenwärtig auf insgesamt 14 “Wohninseln” ein neuer Stadtteil für etwa 20.000 Menschen. Einer der spannendsten architektonischen Blickpunkte ist dabei die vor wenigen Monaten fertiggestellte Bushaltestelle vor dem neuen Spaarne Krankenhaus im Norden des Gebietes. Die langgestreckte organische Raumskulptur wurde nach gemeinsamen Plänen des Rotterdamer Architekten Maurice Nio und dem ebenfalls in Rotterdam ansässigen Büro VHP entwickelt und dabei vollständig aus Kunststoff konstruiert.

In der Regel zeichnet sich die Bauaufgabe “Bushaltestelle” nicht gerade durch spannende Lösungen aus. Bei dem Projekt in Hoofddorp schwebte dem Bauherrn, der Schiphol Project Consult, jedoch von Anfang an ein identitätsstiftendes Bauwerk mit hohem Imagewert für den öffentlichen Nahverkehr vor. “Deshalb haben wir uns schließlich dazu entschieden, ein organisches Bauwerk in der Tradition von Oscar Niemeyer zu entwickeln”, berichtet Maurice Nio, der Anfang der 90er-Jahre gemeinsam mit Lars Spuybroek das Büro NOX gegründet hat und nach einer dreijährigen Übergangsphase bei VHP seit Mitte 2000 ein eigenes Büro führt. Nach eingehender Analyse der Bauaufgabe sowie des Standortes entstand schließlich eine “tropfenförmige” Architektur mit fließendem Übergang zwischen Dach und Fassade – “eine Art Kreuzung aus purem Modernismus und einheimischem Barock”, wie Maurice Nio sichtlich belustigt erklärt.

Ursprünglich war die Eröffnung der Bushaltestelle schon für das Jahr 2001 vorgesehen. Doch aufgrund erheblicher Verzögerungen beim Bau des Spaarne Krankenhauses zog sich auch die Errichtung der Busstation in die Länge. Doch das Warten hat sich gelohnt: Die neue Bushaltstelle bietet nicht nur eine hohe Aufenthaltsqualität für die hier ein- und aussteigenden Fahrgäste und Busfahrer, sondern schafft auch einen wichtigen architektonischen Imagegewinn für das gesamte Neubaugebiet. Durch die Architekten selbst wurde das Projekt inzwischen “Fluid Vehicle” getauft – “denn mit seiner organisch fließenden Form folgt es ganz bewusst den Laufwegen und Blickachsen der wartenden Fahrgäste”, wie Maurice Nio erläutert. Im Inneren der Station integrierten die Architekten zusätzlich einen etwa 15 m2 großen, geheizten Pausenraum für die Busfahrer.

Ähnlich innovativ wie die äußere Form erweist sich auch die Konstruktion des Projektes: “Fluid Vehicle” wurde ausschließlich aus Polystyreen und Polyester errichtet und ist mit einer Gesamtlänge von rund 50 Metern, einer Breite von 10 Metern und einer Höhe von 5 Metern das derzeit größte komplett aus Kunststoff bestehende Gebäude der Welt. Der Aufbau des computergenerierten “Tropfens” besteht aus einem massiven Kern aus Polystyreen-Schaum, der anschließend mit einer äußeren Laminatschicht aus mattem, naturfarbenem Polyesterharz überzogen wurde, um für ausreichend Witterungsbeständigkeit zu sorgen – “ganz wie bei einem Surfbrett”, wie Maurice Nio meint. “Das helle Graugrün der Oberfläche vermittelt dabei wie bei einem Eisblock den Eindruck von räumlicher Tiefe.”

Gleichzeitig ist “Fluid Vehicle” eines der weltweit ersten Gebäude, bei dem mit Hilfe einer computergesteuerten Fräse die Gebäudeteile direkt aus dem CAD-Programm gefertigt wurden. Das Budget war von Anfang an auf rund 1 Million Euro begrenzt, deshalb hätte es als konventionell geplantes Gebäude nicht realisiert werden können. Stattdessen entschieden sich die Architekten dazu, die jeweils 5 x 2 x 2 Meter großen Freiform-Blöcke mit Hilfe einer fünfachsigen CNC-Fräse komplett industriell fertigen zu lassen. Auf der Baustelle wurden die einzelnen Teile dann schließlich zum fertigen Bauwerk zusammengefügt.

“Als Architekt des ‘Fluid Vehicle’ wird mir häufig die Frage gestellt, was seine Form eigentlich bedeuten soll”, erzählt Maurice Nio “Darauf sind eigentlich ziemlich viele Antworten möglich: Aus architektonischer Sicht kann man die Gestalt zum Beispiel als einen durch Laufwege und Sichtachsen geschliffenen, riesigen Findling auffassen. Philosophisch betrachtet würde ich dagegen eher sagen, die Form wurde nicht mühsam gesucht, sondern sie hat sich wie von selbst finden lassen. Und aus prozesshafter Perspektive ist sie einfach das Produkt eines tastenden Entwurfsprozesses mit unbekanntem Ausgang. Alle diese Antworten sind zwar richtig, aber gleichzeitig auch ziemlich irrelevant. Denn letztlich kann da wohl jeder die unterschiedlichsten Interpretationen und Vorstellungen hinein projizieren. Wie auf das weiße Gesicht einer Geisha. Sie selber sagt kein Wort und schweigt nur gelassen.”

© Text + Foto: Robert Uhde

Nächstes Projekt