“Rostrotes Störfeld”

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  1. Architekturjournalismus

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Gedenkstätte SS Sonderlager/KZ Hinzert von Wandel Hoefer Lorch und Hirsch

Das unweit von Trier gelegene „SS-Sonderlager/KZ Hinzert“ wurde während des Zweiten Weltkrieges durch die Nazis als Konzentrationslager für „Arbeitsscheue“ und „Volksschädlinge“ genutzt. Jetzt wurde auf dem Areal ein nach Plänen der Saarbrücker Architekten Wandel Hoefer Lorch und Hirsch geplantes Dokumentations- und Begegnungszentrum eröffnet. Die Dauerausstellung in dem mit rostigem Cortenstahl errichteten Neubau erinnert an das Schicksal von rund 13.000 Menschen, die während des Zweiten Weltkrieges in dem KZ interniert waren.

Dichte Wälder, sanfte Hügel und eine Reihe bewegter Windkraftanlagen – prototypischer lässt sich die deutsche Provinz anno 2006 kaum ausmalen. Mitten in dieser heimeligen Hunsrück-Idylle, am Rand der kleinen Gemeinde Hinzert bei Hermeskeil, trifft der Blick plötzlich und unvermittelt auf eine merkwürdige Raumskulptur, deren facettenhaft gefaltete Haut aus rostigem Corten-Stahl sich so gar nicht in die ansonsten so liebliche Landschaft einfügen will. Der bizarre Bau sperrt sich. Und das nicht ohne Grund, denn eben an dieser Stelle lag während des Zweiten Weltkrieges das SS-Sonderlager/KZ Hinzert, in dem bis zum Frühjahr 1945 mehr als 13.000 Männer interniert waren. Das Lager wurde 1939 ursprünglich als „Polizeihaft- und Erziehungslager“ für „straffällig“ gewordene Arbeiter des Westwalls errichtet. Seit Juli 1940 wurde es dann der SS unterstellt, die es schließlich als KZ für Widerstandskämpfer und Kriegsgefangene sowie als Durchgangslager in die KZ‘s Buchenwald, Natzweiler und Dachau nutzte und die bis Kriegsende mindestens 321 der Insassen hier ermordete.

Nach der Befreiung durch die Alliierten im Frühjahr 1945 hatte die französische Militärverwaltung die Baracken und sämtliche Gebäude abräumen lassen. Danach lag das Gelände Jahrzehnte lang zum großen Teil brach. Lediglich die 1948 auf dem Gelände der ehemaligen SS-Mannschaftsunterkünfte errichtete Sühnekapelle und der 1955 angelegte „Ehrenfriedhof“, der 1986 durch einen von einem ehemaligen Häftling errichteten Gedenkstein ergänzt wurde, zeugten noch von dem Verbrechen. 1994 entstand dann die offizielle Gedenkstätte „SS-Sonderlager/KZ Hinzert“. Die Planungen für ein zusätzliches, direkt neben dem Friedhof  gelegenes Informationszentrum nahmen jedoch erst 2002 konkrete Formen an, als auf Initiative der Landeszentrale für politische Bildung und des Gedenkstätten-Fördervereins ein internationaler Architektenwettbewerb ausgeschrieben wurde, aus dem schließlich der Entwurf des Büros Waldel Hoefer Lorch + Hirsch ausgewählt wurde.

Das nach knapp zweijähriger Bauzeit vor wenigen Wochen eröffnete Dokumentations- und Begegnungszentrum Hinzert ist nicht das erste Projekt der Saarbrücker Architekten, das sich mit der Geschichte und den Auswirkungen des Holocaust auseinandersetzt. Zuvor hatten die Planer bereits die Erinnerungsstätte am Deportationsbahnhof Berlin-Grunewald, das Mahnmal Börneplatz in Frankfurt/Main und die Neue Synagoge in Dresden realisiert. Den schon bei diesen vorangegangenen Arbeiten sichtbaren Anspruch, das eigentlich Unaussprechliche in eine angemessene Figur zu kleiden, die Form und Inhalt zusammenbringt und miteinander verschmelzen lässt, erfüllt auch das Dokumentationszentrum in Hinzert. Zentraler Blickfang des für rund 3,2 Millionen Euro errichteten – und dabei je zur Hälfte durch das Land Rheinland-Pfalz und die Bundesrepublik Deutschland finanzierten – Baus ist seine organisch zerklüftete Haut, die selbsttragende Konstruktion und Außenfassade zugleich ist. Der gesamte Aufbau wurde auf der Baustelle aus 3.000 verschiedenen, jeweils 12 Millimeter starken Platten aus Corten-Stahl zusammengesetzt und versteift, die komplexe Geometrie der unregelmäßig angeordneten dreieckigen Platten verdankt sich dabei dem Einsatz computergesteuerten Fräsen. Der bewusst robuste Charakter des Cortenstahls, der den introvertierten Bau harmonisch in die Landschaft integriert, wurde abschließend noch leicht verändert, indem die Architekten die Oberfläche der zuvor gesandstrahlten und vorpatinierten Platten mit heißem Parafinöl behandelten, um der Fassade so mehr Tiefe und Glanz zu verleihen.

Eine ähnlich biomorphe Formensprache zeigt sich den Besuchern auch im Inneren des mit Geothermie klimatisierten Neubaus, wo die Architekten neben einem großen Ausstellungsraum mit der Dauerausstellung zur Geschichte des Konzentrationslagers auch einen kleineren Seminarraum, ein Büro sowie die in Nischen platzierten Funktionen Bibliothek, Computerplätze und Teeküche integriert haben. Auch hier widersetzen sich Wände und Decken einer klaren Symmetrie und wurden in Anlehnung an die facettierte Außenhaut aus zusammengefügten Dreiecken aus hellen Birkensperrholzplatten gestaltet, auf deren Oberfläche in einer aufwändigen Technik wie bei einer Art Fresko die Texte und Bilder der Ausstellung direkt aufgedruckt wurden. Darüber hinaus findet sich die Dreiecksform in dem aus Beton gegossenen Boden sowie in der Außenform der kleinen Fenster zum angrenzenden Veranstaltungsraum und zum Büro.

Bei der Gestaltung und Zusammenstellung der Ausstellung haben die Verantwortlichen ganz bewusst ein minimalistisches Konzept verfolgt: Eines der wenigen klassischen Ausstellungsstücke in den vereinzelten Vitrinen ist die Häftlingsuniform eines luxemburgischen Gefangenen, auf deren Rücken eine weiße Markierung angebracht ist, die im Fluchtfall als Zielscheibe für die Wachposten dienen sollte. Ansonsten erhalten die Besucher mittels moderner Technik Informationen über das Lager und das Leben seiner Insassen. Monumentaler Blickfang innerhalb des Raumes ist stattdessen die großflächige, rund vierzehn mal sieben Meter große Fensterfront nach Süden – in Richtung des Geländes des früheren Konzentrationslagers. Überlagert wird die imposante Ansicht der leicht hügeligen Landschaft durch eine als Siebdruck auf das Fenster aufgebrachte historische Fotografie mit den ehemaligen Häftlingsbaracken. So fügt sich das Bild früherer Schrecken unmerklich, aber schließlich doch deutlich sichtbar über die heutige Idylle. Als architektonische Entsprechung des ersten Eindrucks von außen.

© Text: Robert Uhde

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